Utku Can und Arne von der Weppen sind Kapstadt-Veteranen: Vor rund fünf Jahren sind sie nach Kapstadt ausgewandert. Sie haben ihre Unternehmen in Südafrika gegründet – und wollen das mit ihren Familien genauso tun. „Wir sind keine Expats“, sagen die Gründer. Und erklären, was sie anders machen (wollen), als die „Bubble“.
Von einer „Bubble“ ist in Cape Town oft die Rede. Die Stadt, bekannt für ihre Surfer-freundlichen Strände, das milde Klima und nur eine Stunde Zeitverschiebung zu Deutschland, wird einmal im Jahr zu einem Hotspot der deutschen Startup-Szene. Dass man in der Vier-Millionen-Metropole schnell auf andere Internationals stößt, gehört für viele zu den Vorzügen dazu. Nach einigen Wochen schwirrt der Expat-Schwarm zurück, zwölf Stunden in Richtung Heimatkontinent.
Nur wenige ziehen den windigen Juli am Kap lauen Sommernächten auf der Nordhalbkugel vor. Bei Arne und Utku ist das etwas anderes: Sie bleiben, das ganze Jahr. Der Bubble hat zumindest einer von ihnen fast vollständig den Rücken gekehrt. Warum? Darüber sprechen wir mit den beiden – bei einem Treffen in Kapstadt.
Das Café, das die Gründer für unser Kennenlernen ausgesucht haben, könnte auch in Berlin oder London stehen: Barhocker aus gebeiztem Holz, hohe Decken, Jazz-Musik. In einem angegliederten Shop verkauft ein Male-Modell Aesop-Seife und Männermode im Uniqlo-Look. Auf Maps ist das Lokal mit drei Euro-Zeichen als höherpreisig ausgewiesen. Ein Matcha Latte kostet umgerechnet aber nur 2,20 Euro.
Die niedrigen Kosten sind ein weiterer Pull-Faktor für europäische Digital-Nomaden. Manche kritisieren, dass europäische Expats so von den schlechten Lebensbedingungen der Einheimischen profitieren. Auch darüber werde ich mit Arne und Utku reden.
Die beiden Gründer begrüßen mich, als würden wir uns schon lange kennen. Sie sind 38 und 33 Jahre alt, braun gebrannt, gehen gerne auf Festivals oder Surfen. Vor knapp einem Jahr haben sie ihre erste eigene Firma gegründet: Cape Point Solutions, ein Outsourcing-Unternehmen für Mittelständler. Wenig später folgte ein zweites Startup.
Trotz Jura-Studium arbeitet Utku in Kapstadt erstmal im Callcenter – um an ein Visum zu kommen
Die Idee für die Firma kam Utku in seiner Zeit bei Amazon: Der Versandriese hat, wie viele andere Firmen, große Teile seines Kundensupports nach Südafrika ausgelagert. Auch Utku geht nach dem Studium an der University of Cape Town (UCT) zunächst zu Amazon; nimmt Anrufe von Kunden an, die Probleme mit ihrer Alexa haben. Utku hat an der UCT einen Master in Rechtswissenschaften (LLM) gemacht, ins Callcenter geht er, weil er in Kapstadt bleiben will – und man als Expat in Südafrika mit einem Job im Callcenter gut an ein Visum kommt.
In Kapstadt an ein Arbeitsvisum kommen
Deutsche, die länger als 90 Tage in Südafrika bleiben wollen, brauchen ein Visum. Die Beantragung kann jedoch dauern: strenge Immigrationsgesetze sollen den heimischen Arbeitsmarkt zu schützen. „Total sinnvoll, aber nicht wirklich optimal umgesetzt“, sagt Arne von der Weppen: „als normal-intelligente Person schaffst du es nicht, hier ein Visum zu bekommen.“ Die Behörden in Südafrika arbeiteten noch langsamer als die in Deutschland, dazu käme eine ordentliche Prise „Willkür und Korruption“. Wer dagegen in einem Callcenter arbeitet, kommt, organisiert und gezahlt von der Firma, schnell an ein Visum.
Bei Amazon hätten, wie in vielen Callcentern, strenge Arbeitsbedingungen geherrscht, erinnert sich Utku: „Mit Stechuhr, wenn du auf Toilette musst.“ In Südafrika herrschten allgemein oft noch Arbeitsbedingungen „wie in Deutschland vor zwanzig Jahren“, ergänzt er. Für weniger als 14.000 Rand (700 Euro) im Monat hätten dort aber echte Talente gearbeitet: Internationals, die den Job machten, um an ein Visum zu kommen, um in Kapstadt zu bleiben.
So entstand die Idee zu Cape Point Solutions – denn gleichzeitig sah Uktu einen Need am Markt: „Viele mittelständische Firmen sind unzufrieden mit den großen Callcentern, die für sie den Kundenservice übernehmen“, sagt er. Mit einem kleineren Team, das maßgeschneiderte Lösungen anbieten könne, soll sein Startup da dagegen halten. Ein weiterer Unterschied zu klassischen Callcentern: Die Gründer wollen ihren Mitarbeitern ein modernes Arbeitsumfeld gewähren, möglichst bedürfnisgerecht, mit Vertrauensarbeitszeit und flachen Hierarchien. Und eben in Kapstadt.
„Zu 100 Prozent“ würde ihr Team in Kapstadt besser arbeiten, als in Deutschland, sagen die Gründer
Die Lage zahle essenziell auf die Motivation seiner Mitarbeiter ein, sagt Arne, der zuvor zehn Jahre bei Mymüsli gearbeitet hat. Er ist sich sicher, dass er in Südafrika besser und effizienter arbeitet, als in Berlin. „Der Workload ist ja trotzdem sehr hoch, aber es geht mir einfach besser“, sagt der 38-Jährige, der nach Feierabend noch Kiten geht. Er ist sich auch sicher, dass das seinen Mitarbeitern genauso geht, würde sogar sagen, dass Menschen in Kapstadt generell besser arbeiten, als ihre Kollegen mit einem ähnlichen Job in Deutschland – „zu 100 Prozent“, sagt Arne. Er sehe das bei Partner-Firmen, etwa an den Krankenzahlen.
Auch Utku sagt, er halte hier „viel mehr Workload aus, als in Deutschland“. Er sei weniger gestresst, energetischer, fühle sich ausgeglichener – besonders durch die Nähe zur Natur. Reisen müsse er nicht mehr lange planen, alles, außer ein Skiresort sei quasi um die Ecke. Sportmöglichkeiten sind zahllos und, vom Equipment einmal abgesehen, gratis und an der frischen Luft. Er hält den Standort Kapstadt für einen „Riesen-Pluspunkt“ für sein Team: „Der Job ist hart, stundenlang Cold Calls und Customer Support können zehrend sein. Wir glauben aber, dass die Leute bei uns besser damit umgehen können, weil sie glücklicher sind.“
„Wir sagen das unseren Mitarbeitern ganz offen: Wir wollen, dass es euch gut geht, damit ihr einen guten Job macht“, betont Utku. Seine Strategie kommuniziert das Startup auch nach außen. So heißt es auf der Website: „Motivierte Talente, schnelle Prozesse und ein aufregendes Arbeitsumfeld führen zu höchster Performance … für euer Unternehmen.“ Da die Founder ihr Unternehmen erst mit dem ersten Kunden gegründet haben, ist der Dienstleister von Beginn an profitabel. Vorerst suchen sie nicht nach Investoren.
Das 2023 gegründete Startup zählt inzwischen mehr als zehn Angestellte, alle deutschsprachig. Sein Versprechen: ein besonders freundlicher Customer Service, weil die Mitarbeiter besonders gute Arbeitsbedingungen haben – und in Kapstadt leben.
Die beiden Auswanderer zählen sich nicht zur „Bubble“
Beide haben sich in Südafrika bereits ein eigenes Haus gekauft. Denn natürlich ist auch Geld ein Faktor. Auch mit jeweils 700 Euro von Amazon hätten er und seine Frau in Kapstadt besser gelebt, als in Deutschland, wo Utku als Legal Support in einer Kanzlei arbeitete: „Weil die Sachen, die du hier machen kannst, gratis sind, in der Natur“, sagt Utku.
Die Expats zieht es an die gleichen Ecken: tagsüber an den Clifton Beach oder nach Camps Bay, abends auf die Kloof Street, am Wochenende auf den Oranjezicht Markt. Das macht das Sich-Kennenlernen, 10.000 Kilometer südlich von Berlin, leicht. Szeneköpfe wie Wefox-Gründer Julian Teicke, Code-University-Chef Thomas Bachem und Her1-CEO Chanyu Xu sind nur einige der Namen, die hier regelmäßig anzutreffen sind. Kapstadt ist damit auch ein großes Netzwerk-Treffen, erinnert manchmal an die Raucherpause im Büro, bei der die besten Bürofreundschaften entstehen – und Nichtraucher sich manchmal fast ausgeschlossen fühlen.
Zumindest Utku will sich in diesem Bild lieber als Nichtraucher verstanden wissen. Er habe „keine Lust auf Bubble-Gebabbel“, sagt der gebürtige Frankfurter. „Die Leute kommen hierher und machen ‚Berlin Zwei‘ daraus – das gefällt mir nicht.“ Er lebt inzwischen eine Fahrtstunde außerhalb des Stadtkerns, wo das Expat-Leben brodelt, sodass er sich inzwischen gut herausnehmen kann – aus sämtlichen offiziellen und inoffiziellen Networking-Events. Hier vermischt sich in Kapstadt oft Business mit Pleasure. Er ist mit seinem Steuerberater befreundet, mit seinem Mechaniker. Die meisten seiner Freunde seien Südafrikaner, sagt Utku.