Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius muss im Bundestag Rede und Antwort stehen. In seinen einleitenden Worten wird der Sozialdemokrat unerwartet deutlich: Deutschland müsse “kriegstüchtig” werden, er wolle zudem eine echte Wehrpflicht einführen. Damit geht er mit der eigenen Partei in Konflikt.
Boris Pistorius hat die Befragung durch den Bundestag für eine überraschend deutliche Ansage genutzt. “Wir müssen bis 2029 kriegstüchtig sein”, sagte der Bundesverteidigungsminister vor den Abgeordneten. “Wir müssen Abschreckung leisten, um zu verhindern, dass es zum Äußersten kommt.” SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich hatte diese Wortwahl des sozialdemokratischen Ministers im Dezember entschieden abgelehnt. “Kriegstüchtig oder kriegsfähig zu werden, wird der Komplexität nicht gerecht”, sagte Mützenich der “Stuttgarter Zeitung” und den “Stuttgarter Nachrichten”. Die Begriffe könnten “zu noch größerer Verunsicherung beitragen und heizen im Zweifel auch gesellschaftliche Konflikte um diese schwierigen Themen an”.
Pistorius verteidigte diese Formulierung im Bundestag: “Mir war wichtig, dass wir uns gesamtgesellschaftlich mit dem Wert von Sicherheit auseinandersetzen und dass wir die neuen sicherheitspolitischen Realitäten ernst nehmen.” Niemand dürfe glauben, “dass Putin an den Grenzen der Ukraine, wenn er so weit kommt, aufhören wird”.
Der Verteidigungsminister geht von einer konkreten Bedrohungslage aus. Mit Blick auf die Rüstungsanstrengungen Russlands müsse man davon ausgehen, dass sich Moskau “offenbar nicht auf etwas vorbereitet, was nichts mit anderen Ländern zu tun hat, um es vorsichtig auszudrücken”.
Pistorius kündigt Wehrdienst-Pläne an
Um abwehrbereit zu sein, brauche es drei Dinge, sagte Pistorius: “Personal, Material und Finanzen”. Die Bundeswehr brauche genügend Personal, um durchhaltefähig und aufwuchsfähig zu sein. “Ich bin überzeugt: Wir brauchen eine neue Form des Wehrdienstes. Hierzu werde ich zeitnah einen Vorschlag machen.” Überlegungen zu einer allgemeinen Dienstpflicht für Männer und Frauen verfolgt Pistorius dabei nicht mehr. Unter anderem Bundeskanzler Olaf Scholz hatte hierzu seine Ablehnung signalisiert.
Berichten zufolge schwebt dem Ministerium zumindest vor, Musterungsfragebögen an junge Erwachsene zu verschicken, um überhaupt eine Übersicht zu bekommen, wer im Ernstfall zur Verfügung stünde. Zudem soll es mehr Anreize für den Dienst an der Waffe geben. Die Pläne hatte Pistorius schon im Mai vorstellen wollen, macht es nun aber erst nach der Europawahl. Möglicherweise wollte die SPD das Thema aus der Wahl heraushalten. Nun sagte Pistorius kurz vor dem Wahltag, dass es ein Wehrpflichtmodell ganz ohne Reibungspotenzial nicht geben könne: “Ich kann aber bereits sagen, dass ein solcher Wehrdienst nicht frei von Pflichten gleich welcher Art sein kann.”
Pistorius schließt gar nichts aus
Konflikte mit der eigenen Regierung drohen Pistorius auch beim Etat. Der Bund müsse “weiterhin erheblich investieren” in die Bundeswehr. Das Budget aus dem Sondervermögen werde bis 2025 voll verplant sein. Die Mittel flössen bis 2027 ab. In diesem Zeitraum erfülle Deutschland das NATO-Ziel, mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben. “Einen Raubbau in meinem Etat kann ich ausschließen.”
Für das kommende Jahr habe er bei Bundesfinanzminister Christian Lindner einen Bedarf “zwischen 6,5 und 7 Milliarden Euro” angemeldet – zusätzlich zum laufenden Etat von rund 52 Milliarden Euro. Lindner hatte – mit Rückendeckung des Kanzlers – keinen Etataufwuchs vorgesehen. Der Bund muss für das kommende Jahr etwa 30 Milliarden Euro einsparen. Im Juni gehen die Haushaltsverhandlungen in die heiße Phase, die Sprengkraft für die Regierungskoalition ist enorm. Pistorius’ Mahnung zur “Kriegstüchtigkeit” und dem daraus resultierenden Bedarf muss auch vor dem Hintergrund dieser Verhandlungen gesehen werden.
Pistorius wurde auch nach einem Medienbericht gefragt, demzufolge er vor der SPD-Fraktion schon einmal gedroht haben sollte, er müsse seinen Job auch nicht machen, wenn das notwendige Geld nicht bereitgestellt werde. Dass die Äußerung im Frühjahr so gemeint war, wurde hernach vielfach bestritten. Vor dem Bundestag sagte Pistorius, er werde “nicht offenlegen, ob es überhaupt eine solche rote Linie gibt, weil ich nämlich ein erklärter Anhänger einer gewissen strategischen Ambiguität bin”. Der Begriff meint Uneindeutigkeit, mit dem Ziel, das Gegenüber über die eigenen Absichten im Unklaren zu lassen. Hat Pistorius also vor dem Bundestag offengelassen, ob er notfalls auch hinschmeißt, wenn ihm die Rückendeckung des übrigens Kabinetts und insbesondere vom Bundeskanzler fehlt? “Es gibt überhaupt kein Drohszenario, es gibt Haushaltsberatungen”, ergänzte Pistorius.
AfD-Fragen findet Pistorius “dumm”
Seine Einlassung war dennoch doppelbödig: In der Debatte um den richtigen Umgang mit Russland wird Scholz vorgeworfen, er verstehe nichts von der abschreckenden Wirkung strategischer Ambiguität. So hat der Kanzler wiederholt bestimmte militärische Schritte Deutschlands zur Unterstützung der Ukraine kategorisch ausgeschlossen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron dagegen hält sich sogar den Einsatz westlicher Truppen in der Ukraine offen. Der Ansatz: Putin soll nicht im Vorhinein sicher wissen, welche Risiken er bei einer weiteren Eskalation eingeht.
Scholz’ Strategie und Kommunikation beim Thema Ukraine war auch Thema der zeitgleich stattfindenden Befragung von Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt. Der enge Vertraute von Scholz kritisierte im Stil des Kanzlers, es sei “befremdlich, in welcher Art und Weise liebevoll über jedes einzelne Waffensystem in Deutschland diskutiert wird”. Er halte es für besser, Russland nicht jede Information über eingesetzte Waffensysteme “frei Haus zu liefern”.
Angriffslustig zeigte sich Bundesverteidigungsminister Pistorius im Umgang mit der AfD-Fraktion: “Manchmal wundert man sich über den intellektuellen Gehalt einer Fragestellung”, kommentierte der Niedersachse eine Frage des AfD-Abgeordneten Martin Reichardt. Später attestierte er der AfD ganz allgemein, “dumme” Fragen zu stellen. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas bat den Minister eindringlich um Mäßigung. “Ich kann die Regierungsbank leider nicht rügen”, sagte Bas. Der Angesprochene kam der Aufforderung dennoch nach. Möglich, dass Pistorius nach diesem Auftritt auch noch die Schelte weiterer Sozialdemokraten erwartet. Der laut verschiedener Umfragen mit Abstand beliebteste Bundespolitiker machte aber nicht den Eindruck, derlei zu fürchten.