LEADERSNET: Herr Jaekel, Hand aufs Herz: Was braucht es, um die Zuschauer:innen zu begeistern?
Stephan Jaekel: Der Dreiklang aus Tanz, Gesang und Schauspiel, der das Genre Musical ja als Alleinstellungsmarkmal in der darstellenden Kunst charakterisiert, bietet dem Publikum schon in sich stets ein ganz besonderes Live-Erlebnis. Innerhalb dieser Welt gibt es dann unfassbar viele Möglichkeiten, die unterschiedlichsten Geschichten, Musikstile, Bühneneffekte, Darsteller:innen-Talente etc. in Szene zu setzen. Unser Anspruch bei Stage Entertainment ist dabei stets, die künstlerische Qualität so hoch wie möglich zu halten und in unserem Gesamtspielplan eine möglichst breite inhaltliche Vielfalt anzubieten, damit “für jede und jeden etwas dabei ist” – und die Neugierde auf das schöne Genre hoch bleibt.
LEADERSNET: Was bedeutet der Umzug von “Die Eiskönigin” nach Stuttgart für den Standort Hamburg?
Stephan Jaekel: Wir stellen schon seit vielen Jahren fest, dass unser Publikum in Stuttgart die beliebtesten und größten Shows aus Hamburg ebenfalls sehr schätzt und quasi auf deren “Umzug” wartet. “Die Eiskönigin” ist ein bei jung und alt sehr populäres Musical, insbesondere wegen der bekannten Musik und den tollen Bühneneffekten rund um die Eiswelt von “Arendelle”. Der Vorverkauf in Stuttgart ist entsprechend erfolgreich gestartet. Für uns als Theaterunternehmen hat ein direkter Umzug eines Stückes zudem den Vorteil, dass etliche Darsteller:innen mit dabei bleiben und die “aufnehmende” technische Crew bereits im Hamburger Theater Erfahrungen sammeln kann, was insgesamt die erforderlichen neuen Probenzeiten verkürzt.
LEADERSNET: Wie schaffen Sie es, Zuschauer:innen auch im Frühjahr und Sommer für Musicals zu begeistern?
Stephan Jaekel: Da kommen zwei Effekte zusammen: Zum einen sind Musicals im Sommer fast immer “konkurrenzlos”, wenn Opern, Sprechtheater oder Konzertsäle in ihre Sommerpause gehen. Zum anderen gestalten wir im Sommer oft besondere Aktionen wie Tage der offenen Tür, Angebote für Familien während der Schulferien oder ähnliches. In unseren spanischen Theatern sind wir übrigens im Sommer immer besonders gut ausgelastet, weil der kühle Theatersaal im heißen Süden als angenehm empfunden wird. Auf diesen Effekt können wir in Deutschland allerdings nicht setzen (lacht).
LEADERSNET: Wie gehen Sie mit gestiegenen Kosten um?
Stephan Jaekel: Wir haben uns Gott sei Dank mit dem Thema schon sehr frühzeitig in und nach der Corona-Pandemie beschäftigt und einen sehr umfassenden Plan zur Einsparung insbesondere von Energieverbrauch und -kosten auf- und umgesetzt. Dank dieser Einsparungen, die noch dazu besserer Nachhaltigkeit dienen, konnten wir den allgemeinen Kostensteigerungen gut begegnen und brauchten sie nur in moderaten Preiserhöhungen an unser Publikum weiterzugeben.
LEADERSNET: Wie lauten die Unternehmensziele in 2024?
Stephan Jaekel: Kaufmännisch möchten wir die sehr guten Ergebnisse 2023 noch übertreffen. Dazu soll insbesondere der vielfältige Spielplan mit den drei ganz neuen Stücken beitragen. Zudem wollen wir durch eine Vielzahl an internen Fortbildungen und Angeboten als Arbeitgeberin noch attraktiver werden und investieren auch beim Thema Diversität und Inklusion in verbesserte Rollstuhlplätze, Angebote für Menschen mit Seh- und Höreinschränkungen sowie in Maßnahmen für Rassismusfreiheit.
LEADERSNET: Wie ist die Struktur der Künstler:innen?
Stephan Jaekel: Aktuell sind mehr als 50 (!) Nationalitäten repräsentiert. Das ist zum einen natürlich dem Wunsch geschuldet, stets die für die zu spielenden Rollen besten Darsteller:innen zu finden, andererseits aber auch aktiver Ausdruck unserer so genannten Culture Integrated Casting Guidelines, die die Vielfalt von Hintergründen als wertvoll würdigt. Beim Alter sind durch bestimmte Rollenprofile teilweise Grenzen gesetzt, doch auch dort geht ein Trend zur größeren Bandbreite.
LEADERSNET: Haben Sie mit dem Fachkräftemangel zu kämpfen?
Stephan Jaekel: Leider ja, insbesondere in den technischen und theaterbetrieblichen Berufen, aber auch in Vermarktung und Verwaltung.
LEADERSNET: Wie müssen Musicals in der Zukunft gedacht werden?
Stephan Jaekel: Eine Schlüsselfrage, mit der sich alle Musical-Schaffenden beschäftigen. Wir bei Stage sind stets offen für alle künstlerisch neuen Ideen (Musik- und Choreografie-Stile, Inhalte etc.) und auch für technische Innovation. Letztere sollte nach unserem Dafürhalten aber stets dienende, unterstützende Funktion haben und nicht das Live Dargebotene “übertrumpfen”. Die Verfeinerungen in der LED-Technik sind ein gutes Beispiel dafür: Was vor acht, neun Jahren so wirkte, als könnten LED-Wände nur eine Art Kinowelt im Theater erschaffen, sind sie jetzt raffinierter, “theatraler” einsetzbar: besser kombinierbar mit haptischen Bühnenbild-Elementen oder mit dem Spielfluss der Darsteller:innen. Eine weitere Entwicklung bieten die Ideen zum “immersive Theater”, dem Oberbegriff für die stärkere Einbindung des Publikums in das Geschehen. Auch bei etwaigen neuen Orten für Theater können wir von Anfang an sowohl den Raum als auch die zu erzählende Geschichte mitdenken. Nach unserem Dafürhalten bleibt aber der Live-Effekt (Musik und Darstellung) als unmittelbar Emotionen auslösend weiter der Kernbestandteil unserer Kreativität.
LEADERSNET: Stichwort KI: Ist die virtuelle Welt für Sie eine Konkurrenz?
Stephan Jaekel: Im Moment stellen wir das nicht fest. Vielleicht ist hier ein “noch nicht” angebracht, vielleicht wird KI aber auch nie die Schönheit und Wirkung von Live überstrahlen können. Das ist derzeit schwer abzuschätzen. Ein erstaunliches Beispiel sehr intelligent eingesetzter KI ist die ABBA Voyage Show in London, die sicher Maßstäbe für die weitere KI-Entwicklungen für die Bühne setzt.
LEADERSNET: Gibt es das klassische Musicalpublikum noch?
Stephan Jaekel: Gegenfrage: Was ist das “klassische”? Gewiss, es gibt das hartnäckige Vorurteil, dies seien brave Provinzmenschen, die in Busladungen vor den Musicaltheatern vorfahren und im Wesentlichen CATS oder STARLIGHT EXPRESS und nichts anderes sehen wollen. Die schöne Wahrheit ist: Seit Gründung von Stage Entertainment Deutschland im Jahr 2000 haben hierzulande mehr als 70 Millionen (!) Menschen eines oder mehrere unserer Stücke gesehen. Natürlich sind darunter viele Mehrfachbesucher:innen – und ja, es gibt nach wie vor auch Menschen, die aussagen, auf gar keinen Fall jemals in ein Musical gehen zu wollen. Aber 70 Millionen sind einfach wahnsinnig viele (schmunzelt). Es hat sich gezeigt: Je etablierter das Genre wird, je größer die inhaltliche Vielfalt und das Angebot, desto größer und differenzierter werden auch die “Zielgruppen“ – ich bitte das Marketingdeutsch zu entschuldigen – , die sich für Musicals interessieren. Insofern: Nahezu jede und jeder hat das Zeug dazu, Teil des Musicalpublikums zu werden.