Er führte Österreich zur Europameisterschaft 2024, schlug vor ein paar Wochen die DFB-Elf und kennt die Bundesliga wie nur wenig andere. Ralf Rangnick sprach mit skyport.de über die Bayern, Dortmund, Kimmich, Sancho und David Alaba.
skysport.de: Wie waren ihre Gedanken, als sie vom Tod von Franz Beckenbauer erfahren haben?
Ralf Rangnick: Leider ging es ihm schon seit längerer Zeit nicht gut. Und trotzdem ist das jetzt natürlich viel zu früh passiert. Am Ende war es sehr traurig für alle Menschen, die wie ich auch mit ihm fußballerisch aufgewachsen und groß geworden sind. Mein ganzes Leben lang war mit Franz Beckenbauer fußballerisch verbunden. Er war eine Lichtgestalt, eine prägende Figur als Spieler, Trainer und Mensch.
skysport.de: Gibt es eine Anekdote, die sie nie vergessen werden?
Rangnick: Begegnungen gab es einige. Ob im Fußball, wenn Hoffenheim gegen Bayern gespielt hat oder auch im Rahmen der Stiftungen. Wir haben auch zusammen Golf gespielt auf seinem Platz in Bad Griesbach. Für jedermann offen, immer ein großes Herz, geerdet und niemals abgehoben. Als wir das letzte Mal vor ein paar Jahren telefoniert haben, war auch das ein offenes und sehr tiefgehendes Gespräch.
skysport.de: Was erwarten Sie vom Rückrunden-Start zwischen den Bayern und ihrem Ex-Klub Hoffenheim?
Rangnick: Hoffenheim hat sich stabilisiert nach Phasen des Aufs und Abs. Es gibt eine große Diskrepanz zwischen den Auswärts- und Heimspielen. Es wird ein interessantes Spiel, bei dem sich die Bayern am Ende wahrscheinlich durchsetzen werden.
skysport.de: Bei Bayern ist viel passiert in den letzten Jahren. Aktuell sind Herbert Hainer, Jan-Christian Dreesen, Thomas Tuchel und ihr langjähriger Weggefährte aus Salzburg Christoph Freund am Ruder. Wie bewerten sie diese Führungs-Riege?
Rangnick: Wir haben viele Jahre sehr gut und erfolgreich zusammengearbeitet. Es freut mich sehr, dass das schon so gut funktioniert. Nach allem, was ich so höre, hat er sich sehr gut eingelebt. Mit seiner freundlichen und unaufgeregten Art tut er den Bayern gut.
skysport.de: Sind Tuchel und die Bayern ein gutes “Match”?
Rangnick: Dass Thomas Tuchel ein hervorragender Trainer ist, darüber müssen wir uns wohl nicht unterhalten. Allein was er in Chelsea bewegt hat, sagt alles. Und wenn man sich die Entwicklung des Klubs ansieht, seitdem er weg ist, sagt das auch eine ganze Menge. Für Thomas war es sicher ungewohnt und nicht ganz leicht, dass diejenigen, die ihn geholt haben, plötzlich weg waren und ein gewisses Vakuum entstanden ist. Es fehlte ihm dann ein täglicher Ansprechpartner. Jetzt gibt es mit Christoph Freund wieder eine sportliche Führung. Ich denke, dass Thomas das sehr wertschätzt. Mit Christoph kann und muss man sich eigentlich gut verstehen, weil er bei allem Knowhow sehr uneitel ist und nicht im Mittelpunkt stehen muss.
skysport.de: Es gibt immer wieder Kritik auch an der Spielweise und den Ergebnissen der Bayern. Wundern sich auch darüber, dass der Rekordmeister für seine Verhältnisse schon sehr lange nicht mehr Tabellenführer war und Leverkusen hinterherläuft?
Rangnick: Dass Leverkusen auf Platz eins steht, kann keinen ernsthaft verwundern, der die Bundesliga verfolgt und ein wenig von Fußball versteht. Das ist überragend gut. Da kommen die drei Punkte zusammen, die im Fußball Erfolg planbar machen.
skysport.de: Und die wären?
Rangnick: Hervorragende Kaderplanung mit top Transfers, die genau zur Spielphilosophie des Trainers passen. Ein Trainer, der das Maximale aus der Mannschaft herausholt und sie antreibt. Und als Drittes hat man den Eindruck, dass dort jeder dem anderen in diesem Verein den Erfolg gönnt und nicht meint, noch mehr vom Scheinwerfer-Licht abbekommen zu müssen. Ich rechne damit, dass Leverkusen bis zum Schluss oben bleibt. Ich möchte keine Prognose abgeben, wer am Ende auf Platz 1 steht. Ich halte es für möglich, dass Leverkusen Deutscher Meister wird. Aber die Bayern werden nicht lockerlassen, auf dem Transfermarkt zuschlagen. Es kommen der Afrika- und Asien-Cup dazu und Boniface hat sich verletzt. Es wird bis zum Schluss ein spannender Meisterkampf werden. Der Rückrunden-Start wird eine große Rolle spielen. Von der Papierform hat Bayern den leichteren Auftakt. Das direkte Duell wird auch mitentscheidend sein.
skysport.de: Und die Champions-League spielt für die Bayern auch keine unwichtige Rolle.
Rangnick: Gegen Lazio gehe ich fest davon aus, dass sie weiterkommen. Dann kommt es darauf an, wie der Weg in ein mögliches Finale wäre. Nach der letzten Saison wird es in dieser schon darauf ankommen, dass sie mindestens einen, wenn nicht sogar zwei Titel holen.
skysport.de: Sie halten es also für möglich, dass die Bayern mit etwas Losglück die Champions League gewinnen?
Rangnick: Ja, das halte ich für möglich. Es hängt von der Auslosung und der Gesundheit der Spieler ab und welche Transfers ihnen noch gelingen. Aber ausgeschlossen ist das nicht. City ist noch nicht so stark wie gewohnt, wobei man die immer auf der Liste haben muss. Kurzfristig ist die Meisterschaft der wichtigste Titel. Aber durch die Stärke von Leverkusen, wird das nicht so einfach.
skysport.de: Ein kurzer Schlenker zum VfB Stuttgart. Auch diesen Klub samt Trainer kennen sie sehr gut.
Rangnick: Da kann ich meine Worte zu Leverkusen wiederholen. Richtig gute Kaderplanung. Ein sehr guter Trainer, der aus einem Abstiegskandidaten einen Europapokal-Anwärter gemacht hat. Aber auch ein Fabian Wohlgemuth als Manager und ein neuer Akademieleiter Stefan Hildebrand, die sich kennen und beide gute Arbeit leisten. Zusammen mit Alex Wehrle sorgen alle für ein ideales Umfeld ohne Querelen.
skysport.de: Die Dortmunder haben mit Nuri Sahin und Sven Bender zwei Ex-Spieler an die Seite von Edin Terzic gestellt. Gute Entscheidung?
Rangnick: Schwer einzuschätzen. Ich glaube, dass Dortmund dieses Jahr nicht mehr um die Meisterschaft mitspielen wird und es schwer genug wird, unter die ersten Vier zu kommen. Dortmund muss ohne Aussetzer eine top Rückrunde spielen und Stuttgart oder Leipzig schwächeln.
skysport.de: Sie haben Jadon Sancho in Manchester trainiert. Er kehrt nun zum BVB zurück. Eine Verstärkung?
Rangnick: Er hatte seine beste Zeit in Dortmund und hat, wenn er gesund war, auch bei mir immer gespielt. Allerdings war er nicht so unbekümmert wie in Dortmund. Was aber auch der Gesamtsituation geschuldet war. Wenn er fit war, war er gesetzt und hat es unter mir gut gemacht. In Manchester kam er jetzt nicht mehr zum Zug. Er muss jetzt in Dortmund wieder in einen Rhythmus und richtig in Form kommen. Aus seiner Sicht macht der Wechsel absolut Sinn.
skysport.de: Haben sie auch Erfahrung mit seinen Undiszipliniertheiten gemacht?
Rangnick: In den sechs Monaten, in denen ich ihn hatte, gab es kein einziges Disziplinproblem. Im Gegenteil. Er ist ein ruhiger und angenehmer Typ.
skysport.de: Macht der Wechsel von Timo Werner aus Leipzig zu Tottenham auch Sinn?
Rangnick: Es hätte keinen Sinn gemacht, weiter bei RB zu bleiben. Für keinen. Tottenham hat Bedarf und spielt einen offensiven Fußball. Der Wechsel scheint mir sehr sinnvoll zu sein.
skysport.de: Wie groß ist die Chance von RB gegen Real Madrid im Champions-League-Achtelfinale?
Rangnick: Real ist derzeit nicht so stabil, mit David Alaba fehlt ein wichtiger Spieler sowohl für Madrid aber vor allem auch für uns. Es wäre für mich keine große Überraschung, wenn Leipzig weiterkäme.
skysport.de: Wem fehlt Alaba mehr. Real oder Österreich?
Rangnick: Er ist unser Kapitän und absoluter Führungsspieler. Ich glaube schon, dass er unserer Mannschaft mehr fehlt. Bei Real Madrid waren sie sicherlich auch geschockt. Für uns ist es ein ganz herber Verlust.
skysport.de: Sie erleben mit der österreichischen Nationalelf eine richtig tolle Zeit. Qualifiziert für die EM, Deutschland geschlagen. Wie geht es ihnen aktuell mit dieser Aufgabe?
Rangnick: Es macht großen Spaß. Ich wohne mittlerweile auch in Österreich in der Nähe von Salzburg und habe schon von 2012 bis 2015 als Sportdirektor dort gearbeitet und gewohnt. Ich fühle mich sehr wohl und wir freuen uns total auf die EM in Deutschland. Wir wollen auch dort zeigen, dass wir eine richtig gute Mannschaft haben.
skysport.de: Die Gruppe mit Frankreich und der Niederlande hat es aber in sich…
Rangnick: Unser Ziel ist es als Team die beste Mannschaft bei der Euro zu sein. Die Gruppe ist anspruchsvoll. Auch unsere Gegner werden nicht gejubelt haben, als wir ihnen zugelost worden sind.
skysport.de: Wie stehen die Chancen bei der EM?
Rangnick: Wir haben gegen Frankreich, Kroatien, Deutschland, Italien und Schweden gezeigt, dass wir nicht nur mithalten, sondern auch gewinnen können. Klar war da in den meisten Fällen David dabei, jetzt müssen wir zeigen, dass es auch ohne ihn geht. Die Spiele sind auf neutralem Boden und deshalb müssen wir schnell eine Turniermannschaft werden.
skysport.de: Ein kurzer Rückblick: Wie war es für sie als Deutscher in Österreich, gegen den DFB unter ihrem ehemaligen Schützling Julian Nagelsmann zu gewinnen?
Rangnick: Wir sind das Spiel wie jedes andere angegangen, wohl wissend, dass es diesen Derby-Charakter hatte. Wir hatten uns vier Tage davor für die EM qualifiziert und konnten die Welle der Euphorie weiter reiten. Es war nicht nur der Sieg, sondern vor allem die Art und Weise, wie dieser errungen wurde und wie wir gespielt haben, der für große Begeisterung gesorgt hat.
skysport.de: Ist ihnen diese Rolle auf den Leib geschneidert und für die nächsten Jahre geplant?
Rangnick: Ich habe eine sehr hohe Jobzufriedenheit. Der Vertrag läuft weiter bis zum Ende der Qualifikation für die WM in Mexiko, Kanada und den USA.
skysport.de: Was trauen sie der DFB-Elf bei der Euro zu?
Rangnick: Ich traue Deutschland bei der Europameisterschaft immer noch sehr viel zu. An der Qualität der Spieler mangelt es mit Sicherheit nicht. Man ist in jedem Mannschaftsteil hervorragend besetzt. Ich sehe nicht so viele Nationen, die in der Breite und Spitze besser besetzt sind. Vielleicht Frankreich und Spanien. Es wird nicht an der Stärke der Einzelnen scheitern, es geht um den Spirit und die Energie, die man als Mannschaft auf den Platz bringt. Das wird der Schlüssel sein.
skysport.de: Julian Nagelsmann kann das noch ins Positive drehen höre ich da raus?
Rangnick: Natürlich. Dass er genug Fähigkeiten mitbringt als Trainer, was die taktische Vorgehensweise angeht, hat er bewiesen. Wenn es ihm in den zwei Testspielen gelingt, eine verschworene Gemeinschaft zu schaffen, ist mit Deutschland im eigenen Land absolut zu rechnen.
skysport.de: Ein Spieler, den sie sehr gut kennen und über den gerne und viel diskutiert wird, ist Joshua Kimmich. Obwohl es kaum einen Spieler gibt, der sowohl für Deutschland als auch bei Bayern in den letzten Jahren öfter auf dem Platz stand, gehen die Meinungen stark auseinander. Wie sehen sie das?
Rangnick: Er ist im allerbesten Fußballer-Alter. Er hat in den vielen Jahren bewiesen, welch ein wertvoller Spieler er ist. Warum soll das plötzlich nicht mehr sein? Er hat das Triple mit den Bayern gewonnen und großartige Spiele für Deutschland gemacht. Er ist ein extrem ehrgeiziger Spieler, der gerne und viel Verantwortung übernimmt. Manchmal auch für die Dinge, für die er sich gar nicht verantwortlich fühlen müsste. Aber so ist er halt und so war er schon immer. Als wir ihn mit 19 nach Leipzig geholt haben, war die Mentalität bereits die eines älteren Spielers, der immer gewinnen wollte und extrem ehrgeizig war. Manchmal möchte man ihm zurufen: Jo, du musst dir nicht alles auf deine Schultern laden.
skysport.de: Wo ist denn seine beste Position?
Rangnick: Er kann sowohl auf der Sechs, als auch auf der Acht und als Außenverteidiger spielen. Das sind Themen, die Thomas bei Bayern und Julian für Deutschland entscheiden müssen. Das hängt auch von den Alternativen ab, die sie auf den Positionen haben. Den Spieler grundsätzlich in Frage zu stellen, dafür gibt es für mich überhaupt keinen Grund. Dafür hat er viel zu lange bewiesen, wie gut und wie wertvoll er ist.