Nach wie vor ziehen viele junge Menschen von Ost- nach Westdeutschland. Der Ostbeauftragte Carsten Schneider meint jedoch: „Man muss nicht mehr weggehen“, der Arbeitsmarkt sei auch im Osten gut. Linke-Chef Martin Schirdewan sieht das anders.
Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider (SPD), sieht für junge Ostdeutsche gute berufliche Perspektiven in ihrer Heimat. Er warb dafür, „die Chancen vor der eigenen Haustür besser wahrzunehmen. Inzwischen gibt es gut bezahlte Jobs in Ostdeutschland, man muss nicht mehr weggehen“, sagte Schneider dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“.
Schneider reagierte damit auf Zahlen, die das Statistische Bundesamt am Dienstag veröffentlicht hatte. Demzufolge sind im vergangenen Jahr erneut mehr 18- bis 29-Jährige aus den ostdeutschen Bundesländern in den Westen gezogen als umgekehrt. Damit setzte sich eine seit 1991 bestehende Entwicklung fort.
Der SPD-Politiker Schneider merkte dazu an: „Die Millionen Menschen, die nach der Wende Ostdeutschland verlassen haben und im Westen zum Wachstum beigetragen haben, die fehlen uns heute. Nach der Wiedervereinigung war für ostdeutsche Jugendliche klar, wer mit der Schule fertig ist und einen Ausbildungsplatz oder eine Arbeitsstelle sucht, muss in den Westen gehen.“ Das sei „nicht mehr nötig, aus Arbeitsplätzemangel ist inzwischen Arbeitskräftemangel geworden“.
Der Osten sei weiterhin „Niedriglohnregion“, sagt der Linke-Chef
Linke-Chef Martin Schirdewan wirft Schneider Naivität im Umgang mit Ostdeutschland vor. „Der Ostbeauftragte muss endlich seine rosarote Brille absetzen und den Tatsachen ins Auge sehen. Schluss mit der Schönfärberei!“, sagte Schirdewan WELT. Der Osten sei weiterhin „Niedriglohnregion“, viele arbeiteten zum Mindestlohn. „Das Jahresbruttogehalt von Vollzeitbeschäftigten liegt hier im Durchschnitt fast 10.000 Euro unter dem im Westen.“
Schirdewan verweist auf die wirtschaftlich besseren Umstände im Westen, die jenen Trend erst hervorriefen. „Kein großer Dax-Konzern hat seinen Sitz im Osten – auch deshalb finden Forschung und Entwicklung größtenteils im Westen statt“, so der Linke-Chef. „Wer schon jetzt an die Rente denkt, geht lieber in den Westen, denn die zukünftige Rente hängt vom Lohnniveau ab – und das ist im Osten nun einmal niedriger, auch weil die Tarifbindung gering ist.“ Die Arbeitslosenquote sinke nicht wegen einer Zunahme an Arbeitsmöglichkeiten, sondern weil viele, die nach der Wende arbeitslos wurden, nun in Rente gingen und die Jungen weggezogen seien, so Schirdewan.
Die Bundesregierung benötige eine neue Strategie für die weitere Entwicklung Ostdeutschlands – und müsse hierfür eine große „Ost-Konferenz“ einberufen. „Der Osten vergreist und ich sehe keine Strategie der Bundesregierung, wie man dem etwas entgegensetzen will.“ Es brauche „gewaltige und vor allem nachhaltige Investitionen in den Standort Ostdeutschland“, beispielsweise durch „Cluster“, in denen Forschung, Entwicklung und Produktion in den Osten verlagert werde. „Nur so können wir neue und gut bezahlte Arbeitsplätze schaffen, die jungen Menschen eine echte Perspektive bieten“, sagte der Linke-Chef.
jml/cul mit dpa