Unter tosendem Jubel hüpfte Imane Khelif durch den Ring, dann trug ihr Trainer sie auf Schultern durch die Halle – und die algerische Fangemeinde flippte schier aus: Die nordafrikanische Boxerin hat nach fast zwei Wochen voller unseliger Diskussionen um ihre Geschlechts-Zugehörigkeit Olympia-Gold gewonnen. Sportlich ist das Thema nach einem deutlichen Finalsieg durch, ruhiger dürfte es um Khelif nicht werden.
Im Finale der Klasse bis 66 Kilogramm siegte die 25-Jährige am Freitagabend im legendären Tennis-Tempel Philippe Chatrier gegen die chinesische Weltmeisterin Yang Liu klar nach Punkten und feierte den größten Erfolg ihrer Karriere. Es war nach dem Sieg von Turnerin Kaylia Nemour am Stufenbarren die zweite Goldmedaille für Algerien in Paris und das zweite Olympia-Gold im Boxen nach Federgewichtler Hocine Soltani 1996 in Atlanta.
Vor rund 14.000 Zuschauern auf dem fast voll besetzten Chatrier, viele davon mit algerischen Flaggen, erwischte Khelif, die von ihren 50 Amateur-Kämpfen zuvor 41 gewonnen hatte, den klar besseren Start und war in Runde eins die agilere Boxerin mit deutlichen Treffern. Yang wagte danach mehr, kam aber nicht wirklich an Khelif heran. Auch Runde zwei ging deutlich an Khelif, auf den Rängen begann bereits die grün-weiße Goldparty – das Urteil ging in Freudenschreien von den Rängen unter.
„Ich bin sehr stolz auf das, was ich erreicht habe. Ich habe alles gegeben, was ich hatte“, hatte Khelif nach dem Halbfinale gesagt: „Ich konzentriere mich auf die Konkurrenz, andere Dinge sind nicht wichtig.“ An diese Marschroute hielt sie sich auch im Finale, dem – rein sportlich gesehen – größten Kampf ihres bisherigen Lebens.
Die Debatte um Khelif, die im Boxsport schon länger geführt wurde, hatte sich derweil seit dem Beginn der Spiele kontinuierlich verschärft. Spätestens mit Khelifs Auftaktkampf am 1. August gegen die Italienerin Angela Carini, die nach 46 Sekunden aufgab, war die Causa zum Politikum geworden. Das IOC und sein Präsident Thomas Bach sahen sich zu einer öffentlich Stellungnahme genötigt. Der vom IOC nicht mehr anerkannte Box-Weltverband IBA reagierte mit einer grotesken Pressekonferenz.
In den sozialen Medien wurde Khelif zum Mittelpunkt unsäglicher pseudopolitischer Diskussionen und heftiger Anfeindungen. Mit ihrem Erfolg in Paris, das steht zu befürchten, werden diese nicht weniger werden. (sid)