125 internationale Spieler stehen in den 30 NBA-Kadern. Nie waren es mehr. Deutschland stellt nach Kanada, Frankreich und Australien das viertgrößte Kontingent. Wie gefragt ist Basketball made in Germany in der besten Liga der Welt? Eine Bestandsaufnahme.
“Ich glaube, Deutschlands Basketball ist so richtig durchgestartet und wird künftig nur in eine Richtung gehen: nach oben”, resümierte Deutschlands Weltmeister-Trainer Gordon Herbert vor wenigen Tagen gegenüber ntv.de. Der Erfolgscoach hatte bekanntlich großen Anteil an den jüngsten Entwicklungen im deutschen Weltbasketball. Mit acht Profis stehen so viele wie nie zuvor in einem NBA-Kader, Deutschland stellt in der nordamerikanischen Liga das viertgrößte ausländische Kontingent nach Kanada, Frankreich und Australien.
“Henrik Rödl vor mir, Chris Fleming vor Henrik, wir alle haben zusammen an diesem Projekt mitgewirkt”, sagt Herbert. “Wir sind gut miteinander befreundet und diese Kontinuität im Nationalteam war sehr wichtig für die Entwicklung. Die EM 2022 war riesig für Deutschland, das gesamte Gefühl im deutschen Basketball bekam nicht zuletzt dank der Medaille im eigenen Land einen riesigen Aufwind. Danach wollte irgendwie jeder spielen, Teil davon sein. Die WM und der Titelgewinn brachten dann sicherlich ihren eigenen kleinen Extra-Boom mit sich.”
WM-Gold, EM-Bronze und Platz vier bei den Olympischen Spielen für die DBB-Herren; Leonie Fiebich und Nyara Sabally als WNBA-Champions mit den New York Liberty vor drei Monaten; Olympisches Gold für die 3×3 Damen; die U18-Jungen holten sich den EM-Titel … Wenn der neue Herren-Bundestrainer Álex Mumbrú davon spricht, “das Vermächtnis fortzusetzen”, wird schnell klar: Die Messlatte hängt höher denn je. Das ist neu im deutschen Basketball – und hervorragend für die weitere Entwicklung dieses Sports in diesem Land.
Offiziellen Statistiken zufolge sind die Mitgliederzahlen beim Deutschen Basketball-Bund im Vergleich zum Vorjahr um 13 Prozent auf 274.025 gestiegen. Bereits 2023 wurde ein Plus von 12,4 Prozent verzeichnet. Ein solch rasanter Anstieg wurde seit den frühen 1990er-Jahren nicht mehr beobachtet. Damals erlebte der Basketball einen weltweiten Boom, Deutschland nahm 1992 an den Olympischen Spielen teil und gewann 1993 EM-Gold im eigenen Land.
“Deutschland ist natürlich Fußball-Land, wie die meisten anderen Nationen in Europa auch”, weiß Herbert. “Aber hier schlummert schon immer sehr viel Basketball-Talent im Land. Detlef Schrempf war der Erste, Dirk Nowitzki war der Größte, und jetzt eben Dennis Schröder und Franz Wagner … das sind alles Superstars, die von den Kids bewundert werden. Das Wichtigste ist, dass Kids weiter spielen können, Möglichkeiten bekommen, sich auszuprobieren, und gefördert werden.”
Ein Superstar, zwei Edel-Helfer in Orlando
In Orlando spielt das größte – und produktivste – deutsche Kontingent. Im fünften Saisonspiel erlitt All-Star Paolo Banchero einen Bauchmuskelriss, der Nummer-eins-Pick 2022 fällt vier bis sechs Wochen aus. Seither sind allen voran die beiden Wagner-Brüder in die Bresche gesprungen, um die Lücke zu schließen. Franz Wagner ist zum absoluten Fixpunkt in den Angriffsbemühungen des vorjährigen Playoff-Teams avanciert und auf dem Weg zum Top-Star. Sein Bruder Moritz ist nicht mehr nur reiner Energie-Spieler, sondern längst eine der verlässlichsten Offensiv-Optionen in einem der angriffsschwächsten Teams der Liga. Und Frischling Tristan Da Silva stellt schon jetzt die Vielseitigkeit und Reife unter Beweis, die ihn nach vier guten Jahren an der Universität Colorado zum Erstrunden-Pick gemacht hat.
Franz Wagner scheint in seiner vierten NBA-Saison in Echtzeit den Sprung zum Superstar zu vollziehen. Seine Vielseitigkeit und Extraklasse an beiden Enden des Parketts zeigen sonst nur ganz wenige Akteure. Zuletzt führte der gebürtige Berliner sein Team zu fünf Heimsiegen in Folge, produzierte dabei 142 Punkte, 31 Rebounds, 30 Assists und nur fünf Ballverluste. Orlando bleibt als eine von drei Mannschaften zu Hause ungeschlagen (7:0).
“Franz’ Entwicklung ist bemerkenswert”, sagt Coach Jamahl Mosley. “Was er alles für dieses Team schultert und wie viel er für uns bedeutet … Er macht wirklich alles für uns. Sein Kampfgeist und vor allem sein IQ beeindrucken mich immer wieder. Er schaut Filme mit den Coaches, trifft immer die richtigen Anpassungen. Er zieht zwei auf sich und versucht, die Lücke in der Defense zu finden. Je mehr davon er sieht, desto einfacher wird es für ihn, das zu erkennen und richtig zu reagieren.” Dass Wagner trotz gestiegenen Verantwortungsbereichs und intensiveren Scoutings der Opponenten effizienter und effektiver geworden ist, wird mit jedem Spiel offensichtlicher.
Von der Bank-Mikrowelle zum Schlüsselspieler
Vor Bancheros Verletzung erzielte Wagner 17,8 Punkte bei 12,8 Wurfversuchen pro Partie. Seine Nutzungsrate lag bei 25,7 Prozent aller Angriffe, wenn er auf dem Parkett steht. Seit Banchero auf Eis liegt, hat Wagner sein Scoring auf elitäre 24,7 Punkte und die Anzahl seiner Wurfversuche auf 20,4 pro Abend hochgeschraubt. Gut 33 Prozent aller Magic-Angriffe laufen seither durch seine Hände – eine gigantische Steigerung auf einen der derzeit sieben höchsten Werte ligaweit. Sieben Mal in Folge hat Wagner jetzt 20 oder mehr Punkte erzielt – die längste solche Serie in seiner Karriere und in der NBA gemeinhin ein Zeichen für einen, der ein völlig neues Level erreicht hat. “Ich freue mich einfach nur, ihn mehr lächeln zu sehen”, scherzte zuletzt sein Bruder Moritz. “Er blickt manchmal ein bisschen mürrisch drein.”
Auch Bank-Mikrowelle Moritz Wagner ist zunehmend wichtiger geworden. Die Energie und Einsatzbereitschaft des älteren Wagner ist für diese Mannschaft längst unentbehrlich, ebenso wie sein effizientes Scoring. Hinter seinem jüngeren Bruder ist Moritz zum zuletzt zweitkonstantesten Punktesammler avanciert. Mit 12,6 Zählern pro Partie legt der ältere Wagner-Bruder den besten Wert seiner Karriere auf. Gegen New Orleans, Washington und Charlotte waren Franz und Moritz drei Mal in Folge die beiden Topscorer Orlandos; es war erst das zweite Mal in der Geschichte der NBA – und einzige Mal seit 1946 – dass dieses Kunststück zwei Brüdern gelang.
Rookie Tristan Da Silva ist gleich der dritte Deutsche im Magic-Bunde, der regelmäßig Einsatzzeit sieht. Bancheros Verletzung hat auch den gebürtigen Münchner vorzeitig in eine ganz andere Rolle gedrängt und seine Entwicklung unverhofft beschleunigt. Nachdem der 18. Pick im diesjährigen Draft in den ersten fünf Partien nur fünf Einsatzminuten bekam und gleich vier Mal nicht das Parkett betrat, überzeugte er Anfang November mit 17 Zählern gegen bisher noch ungeschlagene Cleveland Cavaliers und schaffte fortan den Sprung in die Startformation. Dort bekommt der 23-Jährige derzeit mehr als 27 Minuten Spielzeit pro Abend, die er dank einer unaufgeregten Mischung aus Effektivität und Abgezocktheit ausnutzt.
Es ist schwer, als Rookie in der NBA nicht das Boot zu rocken. Je weniger Fehler, desto besser fürs Team. “Er hat keine Angst vor dem Moment. Er kann ohne mit der Wimper zu zucken auf verschiedenen Positionen auflaufen. Er ist ein echter Profi. Er weiß, woran er arbeiten muss, bleibt geduldig und bereit”, attestiert ihm sein Head Coach. Obwohl seine Statistiken niemanden vom Hocker reißen, hat sich Da Silva mit 7,0 Punkten und 3,8 Rebounds im Schnitt bereits jetzt für eine weitere Rolle in der Rotation empfohlen – auch wenn Banchero im Dezember zurückkehren wird.
Schröder regelt in Brooklyn … aber wie lange noch?
In Brooklyn zeigt Dennis Schröder derweil den bisher besten NBA-Basketball seiner Karriere und ist maßgeblich am überraschend soliden Saisonstart des Teams aus New York beteiligt (5-8). Die Nets stellen einen Top-Ten-Angriff, auch weil Schröder mit 18,8 Punkten und 6,1 Assists pro Einsatz besser produziert als je zuvor. Auch als Shooter (61,0 Prozent True Shooting, 43,2 Prozent Dreierquote) überzeugt der Braunschweiger auf ganzer Linie. Elf Mal in 13 Einsätzen scorte Schröder zweistellig, neun Mal verteilte er fünf oder mehr Vorlagen.
Sein auslaufender, relativ günstig dotierter Vertrag, kombiniert mit Brooklyns Bemühungen, den Klub von Grund auf neu aufzubauen und junge Talente heranzuführen, machen den Veteranen zu einem der größten Trade-Kandidaten in den kommenden Wochen und Monaten, vor der Deadline am 6. Februar. Eine Situation, die für den Deutschen nichts Neues ist und ihn nicht stört: “Ich spiele jetzt seit zwölf Jahren in der Liga und die Leute erwähnen meinen Namen seit zwölf Jahren in Trade-Gerüchten. Getradet wurde ich aber nur zwei Mal. Es wird eben getuschelt, aber das ist mir egal. Das Business ist eben so. Ich bin gerne hier, erledige jeden Tag meine Arbeit, bleibe professionell.”
“Härte, Führungsqualitäten, ein Coach auf dem Parkett … Dennis hat das alles bei einem Winner demonstriert, hat das im internationalen Basketball demonstriert, und hat das jetzt auch hier wieder demonstriert”, weiss Neu-Nets-Coach Jordi Fernandez gut, was er am deutschen Nationalmannschaftskapitän hat. Auch wenn die News um mögliche Interessenten am pfeilschnellen Spielmacher also nicht abreißen werden – unter anderem Orlando Magic, Los Angeles Lakers, Milwaukee Bucks und Detroit Pistons werden genannt – will Schröder am liebsten in Brooklyn bleiben. “Ich liebe es hier. Wir hören nicht auf das, was andere sagen. Wir glauben an uns. Wir wollen in die Playoffs.”
Rookie Big Man im Big Apple
Bereits vor zwei Wochen wandelten die New York Knicks Ariel Hukportis “Two-Way” Vertrag in einen standardmäßigen Zweijahresvertrag um. Das zweite Jahr ist eine Team-Option, übliches Prozedere bei Zweitrunden-Picks, wie es Hukporti in diesem Sommer war. Damals zogen die Knicks den gebürtigen Stralsunder an 58. und letzter Stelle im Draft. Anstatt ihn langsam über die Entwicklungsliga heranzuführen, schmiss ihn Head Coach Tom Thibodeau aufgrund der Ausfälle auf der Center-Position schon jetzt mitten ins Getümmel. “Ariel kam ins Spiel und gab uns großartige Minuten. Das dritte Viertel war ziemlich gut für ihn, zu Beginn des Schlussviertels war es dann weniger gut … Das müssen wir korrigieren.”
In seinem erst sechsten NBA-Einsatz überhaupt sah Hukporti beim Sieg gegen Brooklyn fast genauso viel Spielzeit (30 Minuten) wie in den anderen fünf Partien zusammen (32). Er überzeugte vor allem in der Defensive, rotierte bedacht, störte Passsequenzen und räumte mehrere Nets-Spieler als Shotblocker ab. Auch im Angriff trug der 22-Jährige positiv bei. “Er war riesig heute”, lobte ihn Teamkollege Josh Hart. “Seine Energie war ansteckend. Er zeigte Präsenz, ob beim Blockstellen, Ringschutz, bei den Rebounds, abgefälschten Bällen oder beim Fastbreak.” Seine ersten Punkte als NBA-Profi waren ein Augenschmaus, vor allem sein spektakulärer Tomahawk-Dunk im letzten Viertel.
In der Schlusssekunde sicherte er den finalen Rebound, nachdem Dennis Schröder von Mikal Bridges am Ring geblockt worden war. “Er sah richtig gut aus da draußen. Er hat das meiste aus seiner Chance heute gemacht und wir sind sehr stolz auf ihn”, sagte Knicks-Star Jalen Brunson. Am Ende standen für Hukporti sieben Punkte, vier Rebounds, drei Assists und vier Blocks zu Buche – allesamt neue Karrierebestleistungen in der NBA. “Ich habe lange auf diese Gelegenheit gewartet”, wurde Hukporti nach dem Spiel zitiert. “Ich habe mein ganzes Leben darauf hingearbeitet, also wollte ich die Chance nicht ungenutzt lassen.”
Saisonstart schleppend bis gar nicht
Wenig bis gar keine Spielzeit sehen derweil die beiden Veteranen Daniel Theis in New Orleans sowie Maxi Kleber in Dallas. Theis, der im Sommer als Free Agent in den “Big Easy” gewechselt war, begann die Saison als Starter auf der Center-Position – bis er im fünften Spiel umknickte und seither, wenn überhaupt, nur noch von der Bank kommt. Zuletzt setzte es drei “DNPs” in Folge, der Salzgitteraner kam gar nicht zum Einsatz. Die bisher schlechtesten Statistiken seiner NBA-Laufbahn (3,6 Punkte und 3,5 Rebounds pro Einsatz) erzählen jedoch nicht die volle Story.
Eine beispiellose Verletzungsmisere, der sechs der besten sieben Pelicans-Spieler zum Opfer fielen und die auch vor dem Deutschen nicht haltmachte, hat für absolute Krisenstimmung in Louisiana gesorgt. Die Pelicans haben 10 ihrer ersten 14 Partien verloren und drohen, den Anschluss an die Play-In-Plätze vorzeitig zu verlieren, wenn zumindest ein Teil der Leistungsträger nicht bald zurückkehrt. Theis sieht als Backup nur sporadisch Einsatzzeit, seine Stärken verpuffen zudem an der Seite der anderen Reservisten, die derzeit das Gros der Rotation ausmachen. Erst wenn die üblichen Protagonisten wie Zion Williamson, CJ McCollum, Dejounte Murray, Herb Jones und Trey Murphy III. zurück sind, kann sich Theis’ anvisierte Rolle bei den Pels wieder stabilisieren.
Auch Maxi Klebers Saison ist bisher nur schleppend angelaufen. Der Würzburger begann die Saison wie erwartet als Reserve-Big, verletzte sich aber bereits am zweiten Spieltag am Oberschenkel und fiel wochenlang aus. Nach zwei DNPs zu Beginn dieser Woche rutschte Kleber mangels Alternative auf den großen Positionen in Dallas’ erste Fünf, konnte aber weder bei der vierten Mavs-Pleite in Folge noch beim Sieg gegen San Antonio auf sich aufmerksam machen. Die Texaner enttäuschen bisher mit magerer 6-7-Bilanz; Kleber (2,5 Punkte und 2,3 Rebounds im Schnitt) hat seit Beginn der Saison 2022/23 satte 93 von 177 möglichen Partien verpasst.
Isaiah Hartenstein, der nach einer starken Saison im Trikot der New York Knicks (7,8 Punkte, 8,3 Rebounds, 2,5 Assists und 1,2 Steals pro Partie) im Sommer zu den Oklahoma City Thunder gewechselt war, wartet weiterhin auf seinen ersten Einsatz bei seinem neuen Arbeitgeber. Hartenstein brach sich Mitte Oktober die Hand und fällt rund sechs Wochen aus. Noch vor Ende dieses Monats soll der 26-Jährige aber zurückkehren – und nach dem Ausfall von Chet Holmgren beim West-Primus direkt auf der Center-Position starten.