von Eric Böhm
Drazen Petrovic war der Nowitzki vor Nowitzki. Selbst Michael Jordan respektierte und fürchtete ihn. Heute vor 31 Jahren starb der beste Basketballer Europas viel zu früh.
Er war Dirk Nowitzki vor Dirk Nowitzki.
In einer Zeit, in der europäische Basketballer noch als soft, defensivschwach und zu instabil für das Stahlbad NBA galten, schickte sich ein Mann an, diese Vorurteile eindrucksvoll wegzuzaubern: Drazen Petrovic.
Bereits ein Jahrzehnt, bevor Deutschlands Basketball-Legende die USA im Sturm eroberte, verblüffte der 1,96-Meter-Mann aus der kroatischen Küstenstadt Sibenik mit seiner Genialität Basketball-Amerika und riss ein bis dato wenig beachtetes Team aus seiner Anonymität.
All-Star Games, ein MVP-Titel und sogar die Hall of Fame schienen für den begnadeten Scorer am Horizont zu warten, aber all das endete heute vor 31 Jahren, an jenem schicksalhaften 7. Juni 1993 auf einer Autobahn in der Nähe von München.
SPORT1 erinnert an die tragische Geschichte einer heute außerhalb der ehemaligen jugoslawischen Republiken nicht mehr allgegenwärtigen, aber niemals vergessenen Legende.
Phänomen Petrovic: 112 Punkte in einem Spiel
Schon früh war klar, dass der Sohn eines Polizisten und einer Bibliothekarin ein begnadetes Talent besaß: Nach nur zwei Jahren in den Nachwuchs-Teams seines Heimatstadtklubs Sibenka schaffte er es mit 15 in die erste Mannschaft. 1984 wechselte er als 20-Jähriger mit Olympia-Bronze im Gepäck zu Cibona Zagreb.
In Zagreb gibt es eine Statue sowie ein Museum für Drazen Petrovic
Ein Jahr später führte der Guard das Team mit 36 Punkten im Finale gegen Real Madrid zum Europapokaltriumph, am 5. Oktober 1985 schrieb er mit unfassbaren 112 Punkten in einem Spiel Geschichte – in der NBA gelangen 100 Punkte in einem Spiel lediglich der Ikone Wilt Chamberlain.
Die Portland Trail Blazers wählten Petrovic im Draft 1986 an Position 60 aus, aber das Talent sah sich noch nicht bereit und unterschrieb 1988 für kolportierte vier Millionen Dollar bei Real Madrid.
Spielerberater Jose Antonio Arizaga erinnerte sich später gegenüber der spanischen Zeitung AS, wie er diverse offizielle Stellen bestechen musste, weil damals jugoslawische Spieler erst mit 28 Jahren ins Ausland wechseln durften.
Schwerer Beginn in der NBA
Nach einem Jahr als Topscorer der spanischen Liga wollte sich der „Mozart des Basketballs“ aber endlich mit den besten Spielern der Welt messen und wechselte nach Portland.
“Drazen und ich wurden sofort gute Freunde. Wir sprachen viel über seine Familie. Ich habe ihn sofort respektiert, auch weil er so hart arbeitete. Er war jeden Tag der erste beim Training und der letzte, der ging”, sagte Hall-of-Famer Clyde Drexler Jahre später.
Die NBA öffnete sich damals gerade erst internationalen Spielern, die Vorurteile waren erheblich: Europäer seien nicht athletisch, zu langsam und spielten keine Defense. Entsprechend schwer war es für Petrovic.
Die Blazers sahen ihn als Shooter, hinter Drexler oder Danny Ainge bekam er im Schnitt nur elf Minuten pro Partie.
WM-Titel und Bruch mit Divac
Es war die schwerste Zeit im Leben des kroatischen Volkshelden, denn nach dem WM-Titel 1990 mit Jugoslawien kam es zum Bruch mit seinem besten Freund Vlade Divac (damals L.A. Lakers).
Der Balkankonflikt schwelte bereits, bei der Feier auf dem Court warf der Serbe Divac eine kroatische Fahne eines Fans weg und wurde damit zum serbischen Idol und der kroatischen Hassfigur.
Petrovic zog sich in der Folge – auch wegen des Drucks in der kroatischen Heimat auf die Familie – von seinem Kumpel zurück. Die herausragende Dokumentation Once Brothers erzählt diese Geschichte.
Bei den Nets startete Petrovic durch
Weil sich an seiner Situation in Portland nichts änderte, verlangte Petrovic schließlich einen Trade und landete im Januar 1991 bei den New Jersey Nets, den heutigen Brooklyn Nets – im Tausch für den 36-jährigen Walter Davis.
Drazen Petrovic (r.) in seiner Zeit bei den Portland Trail Blazers
Plötzlich ging der Knopf auf und das Selbstvertrauen war wieder da. In seinen zweieinhalb Jahren küsste er die Nets wach und wurde schnell zum Publikumsliebling.
In seiner ersten vollen Saison kam er auf über 20 Punkte im Schnitt und führte die Nets mit Derrick Coleman und Kenny Anderson erstmals seit 1986 in die Playoffs. “Petro” war in gewisser Weise auch Steph Curry vor Steph Curry – seine Dreier elektrisierten die Massen.
Olympia-Duell mit Jordan
Bei Olympia 1992 erreichte die junge Nation Kroatien mit der späteren Chicago-Bulls-Legende Toni Kukoc vor allem dank Petrovic das Finale gegen das legendäre Dream Team.
Der damals 27 Jahre alte Petrovic war trotz der Niederlage Topscorer des Finals und lieferte sich ein Duell mit dem Größten Basketballer aller Zeiten: Michael Jordan.
Die Legende lautet, Trash-Talk-Meister Jordan habe ihm gesagt: “Ich schieß dir einen ins Gesicht”, worauf Petrovic antwortete: “Ich dir auch” – und es auch tat.
Drazen Petrovic und Michael Jordan im Olympia-Finale 1992
Ähnlich wie Jordan war der coole Europäer nie um einen Spruch verlegen und konnte dem auch Taten folgen lassen. Dafür respektierte ihn der GOAT wie kaum einen anderen Gegenspieler. Er liebte und hasste es, gegen Petro zu spielen, wie er später bekannte.
„Es war ein Nervenkitzel, gegen ihn zu spielen. Er war nie nervös und ein ungemein aggressiver Wettkämpfer. Wir hatten einige großartige Schlachten, leider waren es viel zu wenige“, sagte Jordan, als er vor Jahren in Paris die Drazen Petrovic Trophy erhielt.
Wer Jordan kennt weiß, wie selten er so über Kontrahenten spricht.
Langjähriger Nowitzki-Coach schwärmt
In seinem zweiten Jahr für die Nets wurde Petrovic sogar noch besser. Er traf fast 45 Prozent seiner Dreier und war mit 22,3 Punkten pro Spiel elftbester Scorer der Liga. Zwar war er seltsamerweise kein All-Star, wurde aber ins All-NBA Third Team gewählt.
Die einzigen Europäer, denen dies in den folgenden zehn Jahren ebenfalls gelang, waren Detlef Schrempf und Dirk Nowitzki.
„Von seiner Einstellung und dem Drang, sich immer verbessern zu wollen, sehe ich ihn auf Nowitzkis Level“, sagte Nowitzkis langjähriger Coach Rick Carlisle einmal – damals Assistent bei den Nets: „Er war auch der erste, der Würfe deutlich hinter der Dreierlinie nahm, er wäre perfekt für die heutige NBA.“
Die Dreierquote, die Petrovic über seine gesamte Karriere hatte (43,7 Prozent), ist bis heute die viertbeste der NBA-Geschichte hinter der von Steve Kerr, Hubert Davis und Luke Kennard – vor der von Steve Nash (42,78), Steph Curry (42,55) und vielen anderen.
Petrovic war auf dem Weg, ein NBA-Superstar zu werden, vielleicht hätten seine jungen Nets im Osten sogar ein Rivale für Jordans Bulls werden können. Das Schicksal jedoch wollte es anders.
Eine Statue zu Ehren von Drazen Petrovic in seiner Heimatstadt Sibenik
Tragischer Unfall bei Ingolstadt
Auf dem Rückweg von einem Qualifikationsturnier für die EM 1993 landete die kroatische Mannschaft gemeinsam in Frankfurt. In letzter Minute entschied Petrovic, mit seiner Freundin Klara Szalantzy und dem Auto zurück in die Heimat zu fahren.
Szalantzy – heute mit DFB-Nationalmannschafts-Manager Oliver Bierhoff verheiratet – fuhr auf regennasser Autobahn in der Nähe von Ingolstadt auf einer verunfallten LKW auf. Szalantny, die öffentlich nie über die Tragödie sprach, und die dritte Passagierin Hilal Edebal, eine türkische Basketballerin, erlitten schwere Verletzungen. Der nicht angeschnallte und schlafende Petrovic verstarb noch am Unfallort – mit 28 Jahren.
Petrovics Grab in Zagreb wurde sofort zu einer Pilgerstätte, Cibona benannte seine Arena nach ihm, die Nets vergeben seine Nummer nie mehr. Tennisspieler Goran Ivanisevic widmete seinen legendären Triumph in Wimbledon 2001 seinem Freund.
Das Grab von Drazen Petrovic ist zu einer Pilgerstätte geworden
2002 wurde Petrovic in die Hall of Fame aufgenommen, 2007 in die Ruhmeshalle der FIBA. Durch seinen frühen Tod wurde Petrovic zum Mythos.
Für Europa so prägend wie Jordan
Sein Einfluss auf das Spiel ist ungebrochen. In Europa prägte er den Basketball wie Jordan in den USA. Er war der Pionier, der Kukoc, Nowitzki, Peja Stojakovic und Co. die Tür in die NBA öffnete.
Goran Dragic trug seinetwegen die Nummer drei bei den Rockets und in der slowenischen Nationalmannschaft. “Er ist mein Idol. Wegen ihm habe ich mit Basketball angefangen”, betont er.
Dario Sarics Vater spielte mit Petrovic in Sibenik und erzählte seinem Sohn Geschichten über die Legende und zeigte ihm Videos.
„Ich glaube, echte Basketball-Fans werden Drazen niemals vergessen“, sagt Vlade Divac. Dem ist nichts hinzuzufügen.