Zwölfmal Gold, dreizehnmal Silber, achtmal Bronze, Platz zehn von allen Ländern: Über ein schlechtes Olympia-Ergebnis dürfte Deutschland eigentlich nicht klagen. Der Abwärtstrend ist jedoch klar erkennbar: In den 1990er-Jahren lag die Bundesrepublik auf Platz drei, übertroffen nur von Russland und den USA. In den 2000ern und 2010ern rutschte Deutschland auf Platz fünf bis sechs, wurde von China, zwischenzeitlich auch von Australien, Japan, Großbritannien und Südkorea überholt. Und nun hat das deutsche Team es bereits zum zweiten Mal in Folge nur noch ganz knapp in die Top Ten geschafft.
Das enttäuschende Olympia-Ergebnis
„Wenn man sieht, wie viele Athletinnen und Athleten für Deutschland teilgenommen haben, müssten wir eigentlich mal wieder unter die Top fünf kommen“, sagt Frank-Michael Rall, Sprecher beim Landessportbund Nordrhein-Westfalen. „Um das jedoch zu schaffen, würde zunächst eine Art Konjunkturprogramm notwendig sein.“ Der Bund als Hauptförderer müsse sich entscheiden, wo es hingehen soll: „Wenn wir die Betreuungsqualität so beibehalten wie jetzt oder vielfach eher herunterfahren, müssen wir die Erwartungshaltung ändern, dann ist mehr als Platz zehn im Medaillenspiegel perspektivisch nicht drin“, betont Rall. „Oder es findet ein Umdenken statt und wir wollen den größtmöglichen Erfolg, dann müssen aber auch endlich die Mittel bereitgestellt werden, um genau in die notwendige Qualität zu investieren.“
Die drei Olympiastützpunkte in NRW (Köln, Dortmund und Essen), wo bekanntlich die Medaillengewinner von morgen professionell betreut werden, erhielten „eindeutig zu wenig Finanzmittel, um ihre Aktiven international noch konkurrenzfähiger vorbereiten zu können“, sagt Rall. „Bei uns stagniert die Förderung leider seit vielen Jahren. Andere Nationen investieren dagegen in gewisse Bereiche und Disziplinen stärker, bei denen merkt man: Das hat sich gelohnt, da kommen mehr Erfolge heraus.“
Auch bei der Fußball-EM reichte es trotz deutlich besserer Leistungen als bei den vergangenen drei großen Turnieren nur für das Viertelfinale. Gezeigt hat der Sommer jedoch, wie sportbegeistert Deutschland immer noch ist. So erreichten die öffentlich-rechtlichen TV-Sender ARD und ZDF mit Olympia insgesamt 53,4 Millionen Zuschauer, also knapp zwei Drittel der Bevölkerung. Und auch sonst führte an den Großereignissen kein Weg vorbei – Unternehmen von Discountern bis hin zu Schokoladenherstellern nutzten das Interesse am Sport für teils kuriose Werbekampagnen.
Dass viel Sport konsumiert wird, viel über Gold und Tore gesprochen wird, bedeutet allerdings nicht, dass auch viel Sport gemacht wird. Denn auf der Couch Fernsehen zu schauen, dabei Kartoffelchips zu essen und eine Limo zu trinken, ist alles andere als sportlich. Zuletzt ging aus einem Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aber hervor, dass Deutschland sich mehr bewege als der weltweite Durchschnitt. Auch das Statistische Bundesamt teilte mit, dass die Deutschen im Schnitt täglich 34 Minuten mit Sport beschäftigt seien – fünf Minuten mehr als zehn Jahre zuvor.
Ein Bewegungsmangel lässt sich dennoch feststellen: Zwölf Prozent sind laut WHO nicht genügend aktiv – also etwa jeder achte Deutsche. Und auch das Statistische Bundesamt spricht von einer „untergeordneten Rolle“ des Sports im täglichen Leben der Deutschen – mit Fernsehen und Streaming sind diese nämlich zwei Stunden und acht Minuten beschäftigt.
Auf der anderen Seite erlebt Deutschland einen Fitness-Boom. Das zeigt sich nicht nur in den steigenden Mitgliederzahlen in Fitnessstudios: Im Supermarkt sind überall „High-Protein“-Produkte zu finden, in den sozialen Medien mischen Fitness-Influencer mit, daheim haben viele Deutsche spätestens seit den Corona-Lockdowns eine Art „Home-Gym“ eingerichtet, wo sie trainieren – sei es mit Geräten, mit Fitness-Apps oder einfach mit Youtube-Videos.
Bedroht sind die 17.500 Sportvereine in NRW aber nicht: „Gerade bei den Kindern und Jugendlichen stellen wir einen großen Mitgliederzuwachs fest“, sagt Rall. „Das ist aber nie ein Selbstläufer: Man muss als Sportverein immer attraktiv bleiben und immer wieder prüfen, dass man keine Trends verpasst, genug Sporträume und vor allem genug qualifizierte Mitarbeitende hat.“ Wichtig sei das auch für die Zukunft des deutschen Leistungssports: „Ohne Breite keine Spitze. Man muss ja immer zunächst im Breitensport anfangen, bevor es zum nächsten Schritt kommt.“
Nachholbedarf in der Schule
Mit Blick auf die nötige Bewegung für Kinder und Jugendliche gebe es noch Spielraum nach oben: „Wir wissen natürlich von Rückmeldungen aus Schulen, wo es heißt: Mensch, die können kaum noch einen Purzelbaum“, sagt der Sprecher des Landessportbundes. Ein hochaktuelles Thema sei auch die Schwimmfähigkeit, die stark zurückgegangen sei.
„Zuletzt geäußerte Ideen, dass man auf Leistungsvergleiche wie bei den Bundesjugendspielen verzichten soll, sind aus unserer Sicht kaum der richtige Weg“, betont Rall. Die Schule müsse Kinder vorbereiten und ihnen früh vermitteln, dass auch Niederlagen und Misserfolge im Sport dazugehören – es gehe darum, Fehler zu erkennen, daraus zu lernen und es beim nächsten Mal besser zu machen. „Wenn man alles in Watte packt, tut das nicht gut, am Ende führt das auch dazu, dass man im Spitzensport nie in die Lage kommen wird, den ganz großen Triumph abzurufen. Deswegen ist es wichtig, dass man auch bei den Kleinsten durchaus Leistungsvergleiche zulässt.“
Der Stellenwert des Sports
Auch sonst hat der Landessportbund „das Gefühl, dass der Sport bei großen Entscheidungen öfter zu kurz kommt. Das klassische Beispiel aus den Schulen: Wenn was wegfällt, sind es gerne als Erstes die Sportstunden, bevor man Musik oder Latein ausfallen lässt.“ Dabei gehe es im Sport „um viel mehr als nur darum, den Ball ins Tor zu schießen oder irgendwo hinzuspringen“, betont Rall – nämlich auch etwa um Respekt, Durchsetzungsvermögen, soziales Miteinander.
Was heißt das alles nun für die selbst ernannte Sportnation Deutschland? An die alten Erfolge bei Olympia kann das deutsche Team nicht anknüpfen und auch sonst gibt es den einen oder anderen Nachholbedarf. Das große Interesse an Großereignissen wie Olympia und am Thema Fitness zeigt jedoch, dass es noch viel Potenzial gibt, Kinder, Jugendliche und Erwachsene für den Sport zu begeistern – sei es in der Breite oder auch in der Spitze.