Dramatische Neuigkeiten aus Wolfsburg: VW kündigt die bisherige Beschäftigungssicherung auf. Damit sind betriebsbedingte Kündigungen möglich.
Auch die Schließungen von Werken in Deutschland sind kein Tabu mehr. Denn die bisherigen Sparprogramme reichen nicht mehr aus.
Mit den Arbeitnehmervertretern will der Vorstand jetzt ein Gesamtpaket verhandeln. Doch Betriebsratschefin Daniela Cavallo kündigt erbitterten Widerstand und wirft dem Vorstand Versagen vor.
Wer einen Job bei VW hat, der konnte bislang weitgehend bis zur Rente planen. Kaum ein anderer Konzern bietet derart sichere Arbeitsplätze mit Bezahlung über Branchenschnitt. Und wer dann doch vorzeitig gehen musste, kassierte eine üppige Abfindung.
Doch mit dem Wolfsburger Arbeitnehmer-Paradies ist es künftig vorbei. Am Montag verkündete der Konzern Neuigkeiten, die in der VW-Welt als bislang undenkbar galten und die Mitarbeiter schockieren: Der Vorstand rund um CEO Oliver Blume kündigt die so genannte Beschäftigungssicherung auf. Es ist ein sperriger Begriff und zugleich eine Art heiliges Gut.
Mit den Arbeitnehmervertretern hatte sich das Management auf eine Beschäftigungssicherung bis zum Jahr 2029 verständigt. Das gilt nun nicht mehr und bedeutet: Betriebsbedingte Kündigungen sind jetzt auch bei dem Autoriesen möglich. Zudem schließt der Konzern auch nicht mehr aus, Werke in Deutschland dichtzumachen.
Noch ist unklar, welche Standorte davon betroffen sein könnten. Darüber will der Vorstand jetzt Gespräche mit der Arbeitnehmervertretung beginnen, ebenso über weitere Einsparungen. Insider gehen aber davon aus, dass VW schon bald Fabriken in Deutschland schließen könnte. Das hat es in der langen Geschichte von Volkswagen bisher noch nicht gegeben.
VW-Markenchef: „Gegenwind ist deutlich stärker geworden“
In einem Statement sagte VW-CEO Oliver Blume: „Die europäische Automobilindustrie befindet sich in einer sehr anspruchsvollen und ernsten Lage. Das wirtschaftliche Umfeld hat sich nochmals verschärft, neue Anbieter drängen nach Europa. Dazu kommt, dass vor allem der Standort Deutschland bei der Wettbewerbsfähigkeit weiter zurückfällt. In diesem Umfeld müssen wir als Unternehmen jetzt konsequent agieren.“ Markenchef Thomas Schäfer erklärte: „Der Gegenwind ist deutlich stärker geworden. Wir müssen deshalb jetzt nochmal nachlegen und die Voraussetzungen schaffen, um langfristig erfolgreich zu sein.“
Für die gut 120.000 Beschäftigten in Deutschland ist dieser Montag wahrlich ein historischer und trauriger Tag. Immer mehr Negativ-Nachrichten mussten sie zuletzt vernehmen. Dort ging etwa um neue Sparrunden und Abfindungsprogramme. Nach der jetzigen Ankündigung geht bei VW wirklich die Job-Angst um.
Der Hintergrund der Maßnahmen: Die bisherigen Einsparungen reichen nicht aus. Durch die am Montag verkündeten Schritte sollen weitere vier Milliarden Euro eingespart werden. Betroffen ist vor allem die Kernmarke VW, die schon seit längerem schwächelt. Die angepeilte Rendite von 6,5 Prozent ist derzeit in weiter Ferne.
Betriebsratschefin: „Der Vorstand hat versagt“
Erbitterten Widerstand gegen die Pläne des Vorstands kündigt die Betriebsratschefin Daniela Cavallo am Montag an: „Der Vorstand hat versagt. Die Folge ist ein Angriff auf unsere Beschäftigung, Standorte und Tarifverträge. Damit steht VW selber und somit das Herz des Konzerns infrage. Dagegen werden wir uns erbittert zur Wehr setzen. Mit uns wird es keine Standortschließungen geben. Anstatt sich einseitig zulasten der Belegschaft kaputtzusparen, muss jetzt ein strategischer Befreiungsschlag her, mit Schub für die eigentlichen Baustellen: Produkt, Komplexität, Prozessabläufe, Synergien. Das ist der Plan, den wir brauchen. Und das ist kein Thema der Marke VW alleine. Hier fordern wir, dass der Konzernvorstand endlich seine Verantwortung wahrnimmt.“
Groß ist nun der Druck auf den Betriebsrat rund um Cavallo. Für sie gelten die Beschäftigungssicherung bis 2029 und keine Werksschließungen bislang als Tabu. Doch wenn sie sich mit dem Vorstand nicht auf weitere Sparmaßnahmen einigen kann, droht beim Autobauer ein Horrorszenario: Dann müssen wichtige Investitionen in Entwicklungsprojekte gestrichen und neue Produkte gestoppt werden.
Die wirtschaftliche Lage des Konzerns spitzte sich zuletzt immer weiter zu. Das liegt vorrangig an zwei Dingen. Zum einen sinkt die Nachfrage nach E-Autos in Europa. Zum anderen ist der Verkauf von Verbrenner-Autos auf dem so wichtigen Markt in China eingebrochen. Und: Die Personalkosten bei VW sind deutlich höher als bei der Konkurrenz.
VW will Mitarbeiter in Auffanggesellschaften ausgliedern
Eine der bisherigen Maßnahmen ist das sogenannte „Performance Programm“. Demnach soll Altersteilzeit forciert werden, um die Belegschaft zu verschlanken. Zudem sollen mehrere hundert Arbeitsplätze an Fremdfirmen ausgelagert werden.
VW spricht in einem Schreiben, das an die Mitarbeiter verschickt wurde und Business Insider vorliegt, von sogenannten „Perspektivwerkstätten“. Dort sollten Beschäftigte, deren Aufgaben im Zuge des „Performance Programmes“ wegfallen, neue berufliche Perspektiven erarbeiten. Die Maßnahme soll ab Oktober 2024 starten – an allen sechs VW-Standorten.
Das bedeutet: Wer seinen Arbeitsplatz verliert und noch keine neue Perspektive hat, soll zunächst in die Auffanggesellschaft kommen. Die Betroffenen würden von ihren Aufgaben freigestellt und wechselten in die Räumlichkeiten und Kostenstelle der „Perspektivwerkstätten“. Geholfen werden soll ihnen von Prozessbegleitern, die auch bei der internen Vermittlung unterstützen oder externe Optionen aufzeigen. Die Beschäftigten durchlaufen dann „verschiedene, teils verpflichtende, teils freiwillige Module“, um ihre eigenen Vermittlungschancen zu erhöhen.