Weltmeister, Olympiapremiere der Frauen, steigende Mitgliederzahlen und ein Besuch im Kanzleramt – Deutschland verliebt sich gerade durch die Nationalmannschaften in den Basketball, doch für den Nachwuchs fehlen noch immer Hallen
Sich Olaf Scholz in einem Basketballtrikot vorzustellen, ist gar nicht mal so einfach, doch dass der Bundeskanzler ein Trikot der deutschen Basketball-Nationalmannschaft besitzt, ist gewiss. Bundestrainer Gordon Herbert hatte ihm das Trikot mitgebracht, als er ihn im März im Kanzleramt besuchte. Der Bundeskanzler hatte ihn nach dem WM-Titel der deutschen Basketballer eingeladen. Herbert sagte nach dem Treffen, dass Scholz wie ein Mensch wirke, „der sich wirklich für sein Gegenüber interessiert“. Ob er das Trikot – Nummer 17, Dennis Schröder – jemals getragen hat, verriet Scholz bis heute nicht.
Coach Herbert besuchte Scholz am vergangenen Mittwoch erneut im Kanzleramt. Diesmal nicht allein, wie im März, sondern gemeinsam mit den gesamten Basketball-Nationalteams der Männer und Frauen. Da standen sie, die über zwei Dutzend Hünen und Hüninnen. Erst in den ehrwürdigen Hallen des Kanzleramts, später auch dem Balkon. Und zwischen ihnen der nur 1,70 Meter große Scholz. Es wurde viel gelacht, die schienen den Termin lässig hinzunehmen. Kein Wunder, denn es scheint, als würden offizielle Termine gerade zur Regel werden für die deutschen Basketballer. Kurz zuvor hatten sie bereits Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier besucht. Der überreichte den Weltmeistern das Silberne Lorbeerblatt und verlieh Trainer Gordon Herbert das Bundesverdienstkreuz. Und ganz nebenbei wies der Bundespräsident darauf hin, dass Basketball in Deutschland gerade die Sportart der Stunde ist. „Seit September 2023 erleben wir einen Boom, wie ihn vielleicht zuletzt Boris Becker mit seinem Sieg in Wimbledon in den 1980er-Jahren beim Tennisspiel ausgelöst hat“, sagte er. „Jungen und Mädchen im ganzen Land möchten heute in so großer Zahl Basketball spielen, dass manche Vereine gar nicht alle aufnehmen können.“ Ausgerechnet Deutschland? Wird dieses auf den Fußball versteifte und in den American Football verliebte Land plötzlich ein Basketballland?
Der DBB hat so viele Mitglieder wie noch nie
Ein Indikator dafür, wie beliebt eine Sportart ist, sind die Mitgliederzahlen. 2023 zählte der Deutsche Basketball Bund (DBB) 242.344 Mitglieder. Damit ist er nach den Mitgliederzahlen auf dem 16. Platz aller deutschen Sportverbände. Natürlich hinter Fußball, Turnen und Tennis (die auf den ersten drei Plätzen liegen), aber auch hinter weniger allgegenwärtigen Sportarten wie Handball, Reiten, Golf, Tischtennis und Volleyball. Blickt man aber auf die Entwicklung der DBB-Mitglieder, zeigt sich, dass Basketball in Deutschland boomt. Denn die Zahlen aus 2023 sind im Vergleich zum Vorjahr ein Anstieg um mehr als zwölf Prozent. Bei Kindern und Jugendlichen bis 14 Jahren sind die Mitgliederzahlen sogar um 26 Prozent gestiegen. In der jüngeren Geschichte des Verbandes sind das Rekordwerte.
Ein erster Erklärungsimpuls für den Anstieg der Zahlen könnte der Anlass für die Besuche bei Olaf Scholz und Frank-Walter-Steinmeier sein, also der WM-Titel der Basketball-Nationalmannschaft im vergangenen September. Solche großen Erfolge, vor allem wenn sie überraschend und mitreißend sind, wirken sich auf die Mitgliederzahlen aus. Dafür gibt es zahlreiche Beispiele: Jörg Roßkopf und Steffen Fetzner lösten am 8. April 1989 mit ihrem WM-Gold im Doppel einen Tischtennisboom aus. Knapp 800.000 Mitglieder verzeichnete der Deutscher Tischtennis Bund (DTTB) im Jahr 1990. Der erste Wimbledon-Sieg von Boris Becker am 7. Juli 1985, die weiteren Erfolge in den folgenden Jahren und die Titel von Steffi Graf sorgten dafür, dass der Deutsche Tennis-Bund (DTB) Mitte der 1990er-Jahre erstmals mehr als zwei Millionen Mitglieder zählte.
Es ist also davon auszugehen, dass der WM-Titel der Basketball-Nationalmannschaft die Mitgliederzahlen auch ansteigen lassen wird. Aufgrund des Zeitpunkts des Titels im letzten Drittel des Jahres, wird sich der Effekt erst in den Zahlen für 2024 zeigen, und die liegen noch nicht vor. Den Mitgliederanstieg im Jahr 2023 kann der WM-Titel nur marginal beeinflusst haben. Was sind also die Gründe dafür, dass die Mitgliederzahlen schon vor dem großen Erfolg anstiegen?
Ingo Weiss, Präsident des Deutschen Basketball-Bundes (DBB), wies gegenüber dem NDR auf zwei Gründe hin: erstens der Post-Corona-Effekt, zweitens die Bronzemedaille der Männer-Nationalmannschaft bei der Heim-EM im September 2022. Seitdem würden sich die Anfragen bei den Vereinen häufen. Immer mehr Kids wollen dribbeln wie Dennis Schröder, werfen wie Andi Obst und dunken wie Daniel Theis – doch häufig landen die Neuinteressenten nur auf Wartelisten. Vereine klagen darüber, dass es schlicht nicht genug Hallen gibt, in den Basketball gespielt werden könne. Die Zeiten, in denen die vorhandenen Hallen für Basketball genutzt werden können, sind zu wenig und zu rar. Der Andrang wird hoch bleiben, doch der eilt der Infrastruktur gerade davon.
Dennis Schröder will wie Dirk Nowitzki die deutsche Fahne tragen
Um dieses Problem zu lösen, könnte die Aufmerksamkeit helfen, die der Basketball in Deutschland gerade genießt, weil sich Prioritäten dann hin zum Basketball verschieben könnten. Und die Aufmerksamkeit für den Sport könnte sich in den kommenden Tagen weiter steigern. Sportler und Fans können dieser Tage abstimmen, wer als Fahnenträger bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Paris das deutsche Team anführt – und Dennis Schröder, Kapitän der Nationalmannschaft, ist einer von drei nominierten Sportlern. Kaum eine Aufgabe im deutschen Sport ist medial sichtbarer als die des Fahnenträgers bei Olympischen Spielen.
Schon einmal, bei den Olympischen Spiele 2008 in Peking, hat ein deutscher Basketballer die Fahne getragen: Dirk Nowitzki, damals die olympischen Ringe frisch in seine kurzgeschorenen Haare einrasiert, grinste wie ein staunendes Kind, als er mit der Fahne durch das wie ein Vogelnest aussehende Nationalstadion spazierte. Die Größe des Moments konnte man ihm ansehen. „Ich habe mit Dirk Nachrichten geschrieben“, sagte Schröder neulich, „er meinte, das ist das beste Gefühl, was du dir vorstellen kannst. Wahrscheinlich auf einer Linie mit Kinder kriegen und eine Familie haben.“ Die Entscheidung darüber, wer die Fahne 2024 tragen wird, wird kommenden Donnerstag (25. Juli) verkündet, einen Tag vor der Eröffnungsfeier.
So groß der Moment 2008 für Nowitzki war – den deutschen Basketball hat dieses bildgewaltige Spektakel kaum beeinflusst. Das Team schied früh aus. Nowitzki war der schillernde Star, das Team ansonsten aber nicht auf internationalen Top-Niveau. Neben ihm spielte außer Chris Kaman niemand auf höchsten Niveau in der NBA. In einer Gruppe mit den USA, Spanien, China, Griechenland und Angola war ein Sieg (gegen Angola) zu wenig fürs Weiterkommen.
Irre Talentdichte bei den Olympischen Spielen
Die Mannschaft, die zu den Olympischen Spielen nach Paris reist, funktioniert anders. Wenn es – neben Schröder – einen herausragenden Star gibt, dann Franz Wagner, der vor kurzem bei den Orlando Magic zum bestverdienenden deutschen Basketballer aller Zeiten gemacht wurde. Doch anders als 2008 dreht sich nicht alles um einen Spieler. Die Last ist diesmal aber breiter verteilt. Coach Herberts Doktrin vom rollenfokussierten Teambasketball steht im Vordergrund. Und mit Franz’ Bruder und Magic-Teamkollege Moritz Wagner, Spielmacher Schröder und dessen liebstem Pick-and-Roll-Partner Daniel Theis spielen vier weitere Spieler auf höchsten Niveau in der NBA. Zudem werden die Stärken der anderen Spieler durch das System verstärkt, wie Andreas Obsts Dreipunkteregen bei der WM in Asien gezeigt hat.
Und trotzdem scheint es unwahrscheinlich, den Erfolg des WM-Titels bei den Olympischen Spielen zu wiederholen. Die USA schicken ein Dreamteam rund um LeBron James, Stephen Curry und Joel Embiid nach Paris. Wunderkind Victor Wembanyama ist nur einer der vielen NBA-Stars der Franzosen. Und auch Kanada, Griechenland und Serbien haben Weltstars im Kader. Die Dichte an Talent ist viel höher als bei der WM. Doch auch deutsche Basketballer waren nie talentierter als zurzeit.
Das gilt nicht nur für die Männer-Nationalmannschaft, sondern auch für die Basketballerinnen. In einem historischen 73:71-Sieg über Brasilien qualifizierte sich das deutsche Team von Bundestrainerin Lisa Thomaidis als erstes deutsches Frauen-Basketballteam überhaupt für Olympische Spiele. WNBA-Spielerin Leonie Fiebich verwandelte die entscheidenden Freiwürfe und wird das Team gemeinsam mit den ebenfalls in der WNBA spielenden Schwestern Satou Sabally und Nyara Sabally anführen.
Bundestrainerin Lisa Thomaidis, in Dundas im kanadischen Ontario geboren, hat das Amt im April 2023 übernommen und seitdem die erfolgreichste Zeit im deutschen Frauen-Basketball seit mindestens einem Jahrzehnt eingeleitet. Im vergangenen Jahr wurde das Team bei der ersten EM-Teilnahme seit 2011 sechster. „Unser Ziel ist es, ein Top-Ten-Team weltweit zu werden“, sagte Thomaidis. „Es liegen noch großartige Zeiten vor uns.“
Bevor die beiden DBB-Teams nach Paris aufbrechen, treten sie an einem Doppelspieltag in Berlin an. Die Frauen gegen Nigeria, anschließend die Männer gegen Japan. Es ist der erste Männer-Frauen-Doppelspieltag überhaupt. „Das ist eine geile Sache, das ist cool. Frauensport sollte viel mehr gepusht werden, mit so einem Event wie mit dem Doppelspieltag bekommt man da mehr Reichweite. Die Mannschaft ist sehr talentiert und hat wirklich richtig gute Spielerinnen“, sagte Schröder auf einer Pressekonferenz. Der DBB will mit Events wie diesem die Strahlkraft des Männer-Nationalteams für die Frauen-Nationalmannschaft nutzen. Der Professionalisierungsgrad im Frauen-Basketball viel geringer. In der Bundesliga etwa wird derzeit daran gearbeitet wird, dass Partien ausschließlich auf Hallenboden stattfinden sollen, auf denen nur Basketball-Markierungen zu sehen sind. „Der Double Header ist wichtig für unsere Anerkennung, für die Gleichberechtigung. Da muss sich noch ganz viel tun“, sagt Centerspielerin Marie Gülich.
Frank-Walter Steinmeier hat also recht. Deutschland erlebt gerade einen Basketball-Boom. Eine Basketballland ist Deutschland trotzdem noch nicht. Die infrastrukturellen Probleme wirken wie eine Bremse, die dem Boom gänzlich seinen Schwung nehmen könnte, wenn sie nicht rechtzeitig gelöst wird. Die Lässigkeit der Männer-Nationalmannschaft trägt nur so weit wieder deren Erfolg. Hält dieser, bei den Olympischen Spielen und darüber hinaus, kann aus dem Boom etwas Nachhaltiges werden. Und auch dem deutschen Frauen-Basketball könnten schillernde Jahre bevorstehen. 2025 richtet der DBB eine EM-Vorrundengruppe aus und 2026 die komplette WM. Und wer weiß, womöglich wird Olaf Scholz nach der Weltmeisterschaft neben dem Schröder-Trikot noch eine weiteres DBB-Jersey besitzen – Nummer null, Satou Sabally. Scheitern würde es wohl eher am Wahlergebnis der SPD bei der nächsten Bundestagswahl als an den DBB-Frauen.