Basketball-Experte Alex Vogel: Deutschland ist bereit, für Furore zu sorgen

Basketball-Experte Alex Vogel: Deutschland ist bereit, für Furore zu sorgen

Ist das Dream Team bei Olympia unschlagbar? Welche Chancen haben die Weltmeister? Und wie ist die Situation generell im deutschen Basketball? Unter anderem darüber haben wir mit dem Basketball-Experten Alex Vogel gesprochen.

Die deutschen Basketballer wollen nach dem WM-Titel bei Olympia in Paris ebenfalls für Furore sorgen. Der große Favorit ist aber vor allem das mit NBA-Superstars gespickte Dream Team aus den USA. Wir haben mit dem Basketball-Experten Alex Vogel über das Turnier, die Stärken der deutschen Auswahl, das Dream Team und die Situation des deutschen Basketballs gesprochen.

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Alex Vogel, wie wichtig war der WM-Titel der deutschen Basketballer im vergangenen Jahr? Hat er für einen Hype in der Basketball-Bundesliga gesorgt?

Alex Vogel: Wir haben in den Hallen gemerkt, dass die Weltmeister auf einmal Gesichter waren und gefeiert wurden. In Heidelberg haben wir teilweise einen Ansturm an Jugendlichen erlebt. Das Interesse der Jugend am Basketball ist gestiegen. Aber auch bei den aktuellen Testspielen vor Olympia sieht man die Auswirkungen sehr gut. Es sind unglaublich viele Zuschauer da, wir erleben eine große Begeisterung für den Sport. Plötzlich kennen die Leute Dennis Schröder, Franz Wagner, Moritz Wagner, Daniel Theis. Aber auch die Spieler, die in Deutschland oder Europa spielen, wie Andreas Obst. Das sind Spieler, die immer bekannter werden. Man spricht mehr über Basketball. Und die Lust auf dieses olympische Turnier ist deutlich größer als in der Vergangenheit. Dazu beigetragen hat sicherlich auch, dass das Vorbereitungsspiel zwischen Deutschland und den USA im Free-TV lief.

Wie erleben Sie das bei Ihrem Klub MLP Academics Heidelberg?

Es ist schön zu sehen, dass auf einmal Kids im Obst- oder Schröder-Trikot herumlaufen. Oder in verschiedenen Fanshirts der Nationalmannschaft. Die Kids stehen auf die Nationalmannschaft. Dieser Erfolg hat sie begeistert. Und es kommen mehr Menschen zum Basketball als in den Jahren zuvor.

Wie zufrieden kann die Basketball-Bundesliga denn sein mit der jüngsten Entwicklung?

Sicherlich sind Begeisterung und Stimmung in den Hallen in wenigen Ländern so gut wie in Deutschland. Aber die Qualität der Basketball-Bundesliga im Vergleich zu anderen Ländern muss natürlich immer in Relation zu den finanziellen Möglichkeiten der einzelnen Vereine gesehen werden. Und da ist Deutschland weit von der Spitze entfernt. Der Push durch den WM-Titel hat die Position der deutschen Liga im Vergleich zu anderen Ligen im vergangenen Jahr nicht verbessert. Aber das muss man wohl vor allem langfristig beobachten.

Wie wichtig sind die Nationalmannschaft und die Erfolge als Zugpferd?

In Sportarten wie Basketball ist es oft so, dass die Nationalmannschaft bei großen Turnieren im Mittelpunkt des Interesses steht. Aber sobald diese vorbei sind, ebbt der Hype wieder ab. Fußball wird immer die Nummer eins bleiben. Selbst wenn die Nationalmannschaft, wie jetzt vor der letzten EM, drei Turniere hintereinander “versagt”, erlebt die Fußball-Bundesliga trotzdem einen Boom. Basketball hat einfach einen anderen Stellenwert. Und die Begeisterung für die Basketball-Nationalmannschaft, wenn sie Erfolg hat, ist groß. Aber es wäre wirklich wünschenswert, wenn sich das noch viel mehr auf die nationale Liga übertragen würde. So extrem wie im Fußball ist das gar nicht das Ziel. Aber ein bisschen mehr Hype wäre schon schön.

“Basketball hat einfach eine natürliche Grenze”

Alex Vogel, Basketball-Experte

Wie kann man das schaffen, abseits vom sportlichen Erfolg der Nationalmannschaft?

Basketball hat einfach eine natürliche Grenze, das gilt vermutlich für alle Sportarten außer Fußball. Aber die Nationalmannschaft spielt eine sehr große Rolle. Die Handball-Bundesliga zum Beispiel ist die stärkste Handball-Liga der Welt. Die BBL im Basketball ist das bei weitem nicht. Es geht also darum, die Qualität der BBL weiter zu steigern. Und das geht vor allem mit größeren finanziellen Möglichkeiten. Die Liga muss attraktiver werden – in jeglicher Hinsicht.

Trotzdem gibt es ja eine sehr positive Entwicklung des Basketballs und der Nationalmannschaft. Können Sie das erklären?

In der deutschen Jugendarbeit wurde über die letzten 15 Jahre einfach ein guter Job gemacht. Natürlich muss man immer hoffen, dass die entsprechenden Talente da sind. Und die hatten wir in den vergangenen Jahren. Hinzu kamen die Gründungen der Nachwuchs Basketball-Bundesliga (NBBL) und Jugend Basketball-Bundesliga (JBBL) 2006 und 2010. Generell gab es viele wichtige Veränderungen. Und das hat dann eben positive Auswirkungen. Eine verbesserte Jugendarbeit gibt den jungen Spielern die Möglichkeit, sich über diese Leistungsligen mit den Besten ihres Jahrgangs zu messen. Sie verbessern sich entsprechend. Und das hat zu dem Aufschwung im deutschen Basketball geführt.

Wo steht denn der deutsche Basketball im Moment im weltweiten Vergleich?

Was die Basketball-Bundesliga angeht, ist natürlich noch sehr, sehr viel Luft nach oben. Aber wenn wir auf die Nationalmannschaft schauen, müssen wir uns derzeit vor niemandem verstecken. Sicherlich ist Deutschland nicht die Mannschaft mit den meisten Talenten. Da gibt es Nationen wie die USA, wie Kanada, wie Frankreich, wie vermutlich auch Serbien mit einem Nikola Jokic, die vor uns stehen. Aber Basketball ist ein Teamsport und gerade bei Turnieren kommt es darauf an, dass die Rollenverteilung klar ist. Und dann hat Deutschland derzeit – es wird ja auch von der goldenen Generation gesprochen – genug Talent, um gepaart mit diesem Zusammenhalt, mit dieser klaren Rollenverteilung auch mit den besten Teams der Welt mithalten zu können. Und deshalb war der WM-Titel kein Zufall.

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Olympia ist für das DBB-Team die Gelegenheit, das nächste Glanzlicht zu setzen. Ist das Team bereit?

Ja, auf jeden Fall. Der Auftritt in der Vorbereitung gegen die USA hat mich begeistert. Da hat das Team gezeigt, dass es auch dieses Jahr wieder bereit ist, für Furore zu sorgen. Die Mannschaft, die einzelnen Spieler – alle sind schon im Rhythmus. Ich bin sehr, sehr zuversichtlich, dass es in Paris in eine gute Richtung gehen kann.

Das Team wird bei der Eröffnungsfeier mitmachen, auch wenn keine 24 Stunden später das erste Spiel ansteht. Ist das ein Thema?

Wenn ich jemals bei Olympia dabei gewesen wäre – und da hat wirklich sehr, sehr viel gefehlt – hätte ich alles dafür getan, um bei der Eröffnungsfeier dabei zu sein. Und ich glaube, dass es der Mannschaft genauso geht. Natürlich hat sie am 27. Juli ein Spiel und das ist nicht in Paris, sondern in Lille. Aber letztlich stehen die Spiele auch für ein besonderes Flair, für ein Miteinander mit anderen Athletinnen und Athleten und dazu gehört natürlich auch diese Eröffnungsfeier. Von daher wäre es für mich persönlich keine Frage, ob ich dabei bin oder nicht.

Wie wird das Team damit umgehen, dass man jetzt der Gejagte ist?

Das ist schon eine besondere Situation. Ja, Deutschland ist Weltmeister, aber trotzdem wird die Mannschaft nirgendwo als Favorit genannt. Das liegt auch daran, dass die USA mit einem Dream Team kommen, mit allen Superstars. Sie sind der haushohe Favorit, alle reden über die USA, alle reden über Kanada, die eine sehr, sehr starke Mannschaft haben. Vom Talent her sind die USA und die Kanadier auf einem anderen Niveau als Deutschland. Und deswegen sind sie auch die Favoriten. Und dann ist da natürlich noch Gastgeber Frankreich. Über diese Mannschaften wird mehr gesprochen. Deshalb ist Deutschland gefühlt wieder in der Außenseiterrolle – trotz des Weltmeistertitels. Und dass das den Deutschen liegt, haben sie ja schon bewiesen.

“Wenn alles normal läuft, gewinnen die USA Gold”

Alex Vogel, Basketball-Experte

Ist das Dream Team unschlagbar?

Wenn alles normal läuft, gewinnen die USA Gold. Denn das Talent ist unglaublich und der individuelle Qualitätsunterschied riesig. Irgendwann kommen dann die Kanadier, Frankreich, Deutschland und Serbien. Dennoch müssen auch die USA eine Art Rollenverteilung finden und eine Einheit formen, bei der sich jeder dem Ziel Gold unterordnet. Spieler, die in ihren NBA-Teams Superstars sind, müssen sich plötzlich mit einer kleineren Rolle zufriedengeben und dennoch effizient bleiben. Das ist nicht leicht und keine Selbstverständlichkeit. Doch wenn das gelingt – und ich bin dahingehend mit einem Anführer wie LeBron James sehr positiv gestimmt – werden sie aller Wahrscheinlichkeit nach Gold gewinnen. Und trotzdem: Ab dem Viertelfinale gibt es auch bei Olympia den Do-or-Die-Modus. Schwächeln die USA an einem Tag, haben Kanada, Deutschland, Serbien und Frankreich genug Qualität, den großen Favoriten zu stürzen.

Wie schätzen Sie die deutschen Gruppengegner ein?

Brasilien hat nicht den einen Topstar. Es ist eine Mannschaft mit vielen erfahrenen Spielern. Und damit eine gefährliche Mannschaft. Eine Mannschaft, die wir auf keinen Fall unterschätzen dürfen. Japan ist das schwächste Team dieser Gruppe, darf mit dem sehr unkonventionellen Spielstil allerdings nicht unterschätzt werden. Trotzdem muss es das Ziel der Deutschen sein, Brasilien und vor allem Japan zu schlagen. Dann geht es wohl gegen die Franzosen im letzten Spiel um den Gruppensieg. Die Gastgeber haben mit Victor Wembanyama und Rudy Gobert unglaublich viel Qualität und auch sonst viel Erfahrung im Kader. Aber Deutschland muss sich vor keiner Mannschaft verstecken und kann ganz sicher um den Gruppensieg mitspielen, der für den weiteren Turnierverlauf wichtig wäre.

Wer sind die deutschen Schlüsselspieler, auf wen kommt es besonders an?

Dennis Schröder ist der Kapitän, der Anführer, über den sehr viel läuft, er ist offensiv der Dreh- und Angelpunkt. Wenn er ‘on’ ist, wenn er es fühlt, ist er auf dem Weg zum Korb nicht zu stoppen. Er ist der absolute Leader dieser Mannschaft, der auch defensiv einen großen Einfluss auf die eigene Mannschaft haben kann. Er ist der ‘Vocal Leader’, dem die Mannschaft bedingungslos folgt. Das Pick & Roll (Anm. d. Red.: Spielzug im Basketball, bei dem zwei angreifende, ballführende Spieler zwei Verteidigern gegenüberstehen) mit ihm und seinem kongenialen Partner Daniel Theis auf der Center-Position wird für den offensiven Fluss der Deutschen wieder sehr wichtig sein. Mo Wagner wird wohl wieder als Energizer von der Bank kommen. Und sein Bruder Franz, der einen Wahnsinnsvertrag in Orlando unterschrieben hat, kann der Topscorer des Teams sein. Doch was das Team so stark macht, sind neben den Schlüsselspielern auch die Spieler dahinter: Zum Beispiel ein Johannes Voigtmann, der unglaublich wichtig ist als Leader, als Passgeber, als jemand, der eine ganz wichtige Rolle einnimmt. Oder Andreas Obst, der den Gegner mit seinem Wurf dauerhaft beschäftigt. Man kann eigentlich jeden aufzählen. Die große Stärke dieser Mannschaft ist die Kompaktheit, die Tiefe, die klare Rollenverteilung und das Hintenanstellen der Egos. Alles ist dem mannschaftlichen Erfolg untergeordnet. Ein großer Verdienst von Bundestrainer Gordie Herbert.

“Mit diesem Team haben wir die Chance, Großartiges zu erreichen”, sagte Bundestrainer Gordon Herbert. Wie großartig wird es?

Das hängt natürlich ein bisschen davon ab, auf wen sie nach der Gruppenphase treffen. Wenn im Viertelfinale die USA warten, dann kann recht schnell Schluss sein. Auf der anderen Seite sind zwölf Teams dabei und acht qualifizieren sich für das Viertelfinale. Und wenn wir da ein wenig Glück haben, dann sind wir ganz schnell im Halbfinale und haben zwei Spiele, um eine Medaille zu bekommen. Von daher halte ich eine Medaille für die deutsche Mannschaft für realistisch. Aber es gehört auch ein bisschen Glück dazu.

Welche Bedeutung hat Olympia für die Entwicklung der Mannschaft?

Erst einmal ist es toll, dass Deutschland wieder bei den Olympischen Spielen dabei ist. Das ist keine Selbstverständlichkeit, sondern ein Erfolg. Aber diese Mannschaft hat sich vor zwei Jahren das Ziel gesetzt, innerhalb von drei Jahren drei Medaillen zu holen. Sie haben Bronze bei der EM geholt, Gold bei der WM und jetzt wollen sie diese nächste Medaille. So kann man die Zeit unter Bundestrainer Gordon Herbert und diesen Dreijahresplan historisch abschließen. Und neben diesem olympischen Gefühl, das ganz wichtig ist, geht es für den deutschen Basketball jetzt darum, diese Zeit zu krönen und für einen weiteren Push zu sorgen. Man darf gespannt sein, wie es nach Olympia ohne Herbert weitergeht.

So schwer wiegt der Abgang von Bundestrainer Herbert

Wie schwer wiegt der Verlust von Bundestrainer Herbert?

Das wiegt sehr schwer. Weil er es geschafft hat, die Rollen klar zu verteilen. Er hat das Commitment der Spieler für seinen Dreijahresplan eingefordert und fast vollumfänglich bekommen. Er hat es geschafft, viele Spieler für die Nationalmannschaft zu begeistern. Doch trotz des Abgangs traue ich dieser Mannschaft zu, auch unter einem anderen Trainer sehr erfolgreich zu sein. Vorausgesetzt, sie bleibt in den nächsten Jahren weitgehend zusammen und steht im Sommer für die großen Turniere zur Verfügung.

Wie sehen Sie die Zukunft des deutschen Basketballs?

Ich habe ein sehr gutes Gefühl. Wir sehen, dass die Arbeit und die Veränderungen, die in den letzten 15 Jahren im deutschen Basketball geschaffen wurden, Früchte tragen. Und dass im Jugendbereich weiterhin sehr, sehr hart gearbeitet wird. Und ich glaube, es ist auch immer wichtig, dass man Identifikationsfiguren hat. Und die haben wir mit Dennis Schröder oder Franz Wagner, der noch lange in der NBA spielen wird und sich weiter verbessern wird, der jetzt schon auf All-Star-Niveau spielt. Und wenn man solche Typen hat, zu denen man aufschauen kann, die auch ein Ansporn für die Jugend sind, dann ist das – gepaart mit der Struktur, die wir in der Jugendarbeit haben – eine sehr, sehr gute Kombination, um weiterhin eine starke Nationalmannschaft zu haben. Aber nicht zu verwechseln mit einer starken Bundesliga.

Über den Gesprächspartner:

  • Alex Vogel ist Sportlicher Leiter bei Basketball-Bundesligist MLP Academics Heidelberg. Daneben ist der 33-Jährige seit Jahren als Basketball-Experte für diverse TV-Sender bei Übertragungen der NBA, EuroLeague, BBL sowie der Nationalmannschaft als Experte im Einsatz.


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