Fast die Hälfte aller Online-Shopper bei Amazon, Temu & Co. kauft, ohne es zu wissen, bei ausländischen Unternehmen. Das hat Konsequenzen, warnt der Handelsverband Deutschland.
Lisa Klein* aus der Nähe von Berlin wollte für ihre fast zweijährige Tochter ein Holzspielzeug kaufen. Bunte Karotten, die Kleinkinder in eine Box mit Löchern stecken können. Pädagogisch wertvoll, nach Montessori-Prinzip. Sie entdeckte bei Amazon ein Produkt eines vermeintlich amerikanischen Herstellers, das hochwertig erschien. „Der Hersteller hieß KMTJT, das kannte ich nicht. Ich habe extra auf der Markenseite der Firma bei Amazon nachgeschaut und gegoogelt. Es ist mir wichtig, dass Spielzeug für meine kleine Tochter den europäischen und amerikanischen Sicherheitsrichtlinien entspricht“, sagt sie zu BuzzFeed News Deutschland von IPPEN.MEDIA.
Bei Produkten für Babys und Kleinkinder gibt es in der EU und in den USA strenge Vorgaben. Es dürfen sich keine Kleinteile lösen. Farben und Lacke müssen auch für die Kleinsten gesundheitlich unbedenklich sein. „Auf der Amazon-Seite des Herstellers stand alles auf Englisch und der Markenauftritt erschien professionell“, sagt Lisa Klein. „Der Preis für das Produkt war vergleichsweise hoch, deshalb ging ich davon aus, dass es keine Billigware ist. Es hatte fast eine Fünf-Sterne-Bewertung und sehr positive Rezensionen. Außerdem habe ich die Firma auch bei anderen großen Onlinehändlern gefunden“, berichtet die junge Mutter. Sie bestellte das Spielzeug über Amazon Prime und freute sich darauf, es ihrer Tochter am nächsten Tag überreichen zu können.
Amazon, Temu & Co.: 40 Prozent der Kunden bemerken erst im Nachhinein, dass sie ausländische Ware erworben haben
Doch mit der Lieferung der Schock: „Als ich das Amazon-Paket öffnete, konnte ich es nicht glauben. Plötzlich stand als Hersteller Goryeo auf der Packung. Eine Adresse in China war angegeben“, sagt Lisa Klein. „Ich hatte ein ungutes Gefühl und habe das Produkt sofort zurückgeschickt, ohne es meiner Tochter zu geben. Es war bei Amazon nirgendwo ersichtlich, dass es sich um einen chinesischen Hersteller handelt. Das finde ich überaus fragwürdig.“
Mit ihrer Erfahrung ist Lisa Klein nicht allein. Aktuelle Zahlen des Handelsverbands Deutschland (HDE) zeigen: Besonders Online-Marktplätze wie Amazon aus den USA oder Temu aus China, vor dem mehrere Verbraucherzentralen warnen, werden im Onlinehandel immer bedeutender. 2023 erwirtschafteten Plattformen wie sie erstmals mehr als die Hälfte der Online-Umsätze in Deutschland.
Mit 44 Prozent liegt China bei den Bestellungen im Ausland weit vorne. 28 Prozent der Bestellungen kamen aus Großbritannien, 15 Prozent aus den USA. Vielen Käufern ist die Herkunft ihrer „atmungsaktiven“ Unterhose oder ihres „hochwertigen“ Haarschneiders jedoch gar nicht bewusst: 40 Prozent aller Befragten haben erst im Nachhinein bemerkt, dass sie Waren bei einem ausländischen Online-Marktplatz erworben haben.
Bei chinesischen Anbietern wie Temu zu kaufen, hat Konsequenzen. Chinesische Shops halten sich laut HDE nicht an gültige Vorgaben für Preise, Webseitengestaltung, Produktsicherheit, Umweltschutz oder Steuer- und Zollrecht, teilweise seien Produkte von Temu und Co. sogar gefährlich.
Amazon-Konkurrent: Online-Marktplätze wie Temu werden immer bekannter
22 Prozent der Befragten sind keine ahnungslosen China-Besteller und geben an, bewusst im Ausland zu bestellen. Diese Zahl dürfte weiter zunehmen. „Ich gehe davon aus, dass die Bewusstseinsbildung steigt und Konsumenten irgendwann wissen, welche ausländische Plattformen für Qualität und welche für Quantität steht“, sagt HDE-Hauptgeschäftsführer Stephan Tromp bei einem Pressegespräch BuzzFeed News Deutschland, einem Portal von IPPEN.MEDIA.
Die Zahlen zeigen, dass chinesische Online-Marktplätze wie Amazon-Konkurrent Temu, für den Verbraucherschützer drastische Worte wählen, immer bekannter würden. „In den vergangenen Monaten ist die Zahl der Menschen, die Temu kennen, um mehr als zehn Prozent gestiegen“, sagt Tromp. Deswegen brauche es seiner Meinung nach kein EU-weites Transparenzlabel, sondern viel mehr ein „engmaschigeres Kontrollnetz“ der europäischen Behörden.
„Wir müssen Pakete aus dem Ausland strenger auf Mängel kontrollieren. Nur wenn die Verbraucher schon bezahlt haben, ihre Bestellung dann aber nicht zugestellt wird, werden sie vorsichtiger“, sagt Tromp. In diesem Fall greife ein „betriebswirtschaftlicher Mechanismus“, der Druck auf die ausländischen Unternehmen steige.
Dies ist ein Artikel von BuzzFeed News Deutschland. Wir sind ein Teil des IPPEN.MEDIA-Netzwerkes. Hier gibt es alle Beiträge von BuzzFeed News Deutschand.
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HDE warnt: „Schiere Masse an Bestellungen macht Kontrolle unmöglich”
Rund zwei Milliarden Pakete im Wert von unter 150 Euro seien durch Amazon & Co. 2023 in die Europäische Union importiert worden. 92 Prozent aller gezogenen Stichproben stufte der Zoll als „nicht verkehrstüchtig“ ein, sagt Tromp. „Die schiere Masse an Bestellungen macht es unmöglich, eine Kontrolle durchzusetzen.“ Die EU sei damit „überfordert“, was nicht nur die Verbraucher und Verbraucherinnen, sondern auch den fairen Wettbewerb gefährde.
Dass es keinerlei Abkommen mit den USA oder China zur Produktsicherheit gebe und dass die Staaten zwar formal einen Wirtschaftsakteur in der EU benannt haben, gegen diesen aber kaum Bußgelder oder Strafen durchgesetzt werden könnten, sei ein Problem. „Wir erwarten hier mehr Substanz von Staat und Behörden“, fordert der Geschäftsführer des Deutschen Handelsverbands (HDE). „Im Zweifel muss die EU zur Ultima Ratio greifen und Unternehmen, die sich nicht an geltendes Recht halten, ausschließen.“
Lisa Klein bestellte das Spielzeug mit den Karotten schließlich über eine deutsche Firma, die eine offizielle Webseite hat und einen deutschen Firmensitz. Sie sagt: „Sicher ist sicher.“ *Die Amazon-Kundin möchte anonym bleiben. Ihr Name liegt der Redaktion vor.