Das bedingungslose Grundeinkommen ist populär. Die Idee: Ohne Existenzdruck würden Menschen mehr für ihre Bildung tun, sich stärker für die Gesellschaft engagieren – und zumindest gesünder sein.
Alle diese Annahmen widerlegt die bisher größte wissenschaftliche Studie zum bedingungslosen Grundeinkommen. Ihre Ergebnisse sind ernüchternd.
Menschen, die drei Jahre 1.000 Dollar im Monat bekamen, arbeiteten weniger, wurden beim Einkommen abgehängt, nutzten die Zeit überwiegend für Konsum und Freizeit – und fühlten sich sogar eher krank.
Ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle ist populär – besonders in reichen Ländern. Auch in Deutschland werben Soziologen, Parteien und Vereine für die Idee: Wenn Menschen 1.200 Euro im Monat ohne Bedingung und Gegenleistung erhielten, befreie sie das vom wirtschaftlichen Existenzdruck. Sie würden sich dann mehr um ihre Qualifikation bemühen, für die Gesellschaft engagieren, Risiken wie eine Firmengründung eingehen – oder zumindest gesünder und zufriedener leben. So die Annahme.
Die wirklichen Folgen haben Wissenschaftler über drei Jahre in der bisher umfassendsten Studie zum Grundeinkommen untersucht. Ihre Ergebnisse sind ernüchternd. Empfänger eines Grundeinkommens reduzierten ihre Arbeitszeit, und ihre Haushalte wurden beim Einkommen im Lauf der Zeit zunehmend abgehängt. Die gewonnene Zeit setzen sie nicht für Bildung, Familie oder Ehrenamt ein, sondern für Konsum und Freizeitaktivitäten. Und: Die Empfänger des Grundeinkommens fühlten sich sogar häufiger gesundheitlich eingeschränkt.
Zum bedingungslosen Grundeinkommen gibt es viele theoretische Studien und praktische Experimente, auch in Deutschland. Meist werben Befürworter des Modells um Teilnehmer und lassen die Versuche dann wissenschaftlich begleiten. Die neue Studie aus den USA ist von größerem wissenschaftlichen Kaliber. Über einen Zeitraum von drei Jahren untersuchte ein Team unter Leitung der kanadischen Ökonomin Eva Vivalt die Auswirkungen des Grundeinkommens.
Die bisher Ggrößte Studie zum bedingungslosen Grundeinkommen
So war das Experiment angelegt: Das Team suchte nach dem Zufallsprinzip 1000 Personen aus, die drei Jahre lang bedingungslos 1.000 US-Dollar pro Monat erhielten. Die Ergebnisse verglichen sie mit einer Kontrollgruppe von 2.000 Teilnehmern, die 50 US-Dollar pro Monat erhielten. Die Teilnehmer wurden so ausgewählt, dass sie vielfältige Teile der Bevölkerung repräsentierten. Sie kamen sowohl aus großen und kleinen Städten als auch vom Land. Ein Schwerpunkt lag auf Beziehern geringerer Einkommen. Im Mittel lagen die Jahreseinkommen bei 29.900 Dollar im Jahr. Das Grundeinkommen erhöhte ihre Einkommen im Mittel also um rund 40 Prozent.
Drei Jahre lang sammelten die Forscher detaillierte Daten aus Umfragen bei den Teilnehmern. Hinzu kamen Daten von Behörden und anderen offiziellen Stellen sowie aus einer App, über die Teilnehmer Tagebuch führten.
Im Laufe der drei Jahre stiegen die Einkommen in beiden Gruppen. Allerdings entwickelten sich die individuellen Jahreseinkommen der Bezieher des Grundeinkommens um etwa 1.500 Dollar schlechter als in der Kontrollgruppe. Betrachtet man den gesamten Haushalt, entwickelte sich das Einkommen der begünstigten Gruppe sogar um 2.500 Dollar schlechter. Dies liegt daran, dass nicht nur die Bezieher der Grundeinkommen selbst, sondern auch andere Menschen im Haushalts ihre Arbeit reduzierten. Die Einkommenslücke zur Kontrollgruppe wuchs im Verlauf der Zeit. Die Bezieher bedingungsloser Grundeinkommen wurde von der Einkommensentwicklung zunehmend abgehängt.
Bedingungslose Transfers hängen Haushalte beim Einkommen ab
Das Grundeinkommen führte in der Empfängergruppe zu einem Rückgang der Erwerbsbeteiligung um zwei Prozentpunkte und zu einer Verringerung der Arbeitsstunden um 1,3 bis 1,4 Stunden pro Woche. Auch hier nahm der Rückzug vom Arbeitsmarkt im Laufe des Experimentes zu.
„Interessanterweise scheinen Partner und andere Erwachsene im Haushalt ihr Arbeitsangebot in vergleichbarer Weise wie die Teilnehmer zu verändern“, schreiben die Forscher. „Für jeden erhaltenen Dollar sank das Gesamteinkommen des Begünstigten ohne die Transfers um mindestens 12 Cent und das Gesamteinkommen des Haushalts um mindestens 21 Cent.“
Einen Rückzug vom Arbeitsmarkt erwarten Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens. Entscheidend ist aber, wofür die Teilnehmer die freigewordene Zeit einsetzen.
Die Ergebnisse der neuen Studie sind ernüchternd: „Die begünstigten Teilnehmer nutzen die durch die geringere Arbeitszeit gewonnene Zeit in erster Linie für mehr Freizeit“, schreiben die Autoren. Etwas mehr Zeit verbrachten sie auch im Verkehr sowie mit ihren Finanzen.
In allen anderen Aktivitäten gebe es nicht die kleinsten Veränderungen, schreiben die Forschenden und nennen als Beispiele die Zeit für Kinderbetreuung, Sport, Arbeitssuche oder Selbstoptimierung.„Interessanterweise ist nicht zu beobachten, dass diejenigen, die Kinder haben, infolge der Transfers mehr oder weniger Zeit für die Kinderbetreuung aufwenden.“
Bezogen auf die 1.000 Dollar Grundeinkommen schreiben die Autoren: „Die Teilnehmer unserer Studie geben fast das gesamte Geld, das sie jeden Monat erhalten, für erhöhten Konsum oder reduzierte Arbeit aus. Sie sparen dagegen nicht mehr.“
Obwohl die Wissenschaftler ausdrücklich und detailliert danach fragten, finden sie auch keine Verbesserung der Qualität der Beschäftigung, schreiben sie in der Studie. Aufgrund ihrer Methoden könnten sie dabei „selbst kleine Verbesserungen ausschließen“. Sie konnten zudem „keine signifikanten Auswirkungen auf die Investitionen in das Humankapital“, feststellen, also in eine bessere Aus- oder Fortbildung. Allein einige jüngere Teilnehmer hätten möglicherweise eine höhere formale Bildung angestrebt.
Höhere Bereitschaft zum Risiko einer Firmengründung
Eine Ausnahme scheint zumindest möglich: Die Begünstigtenjhätten „ein größeres Interesse an unternehmerischen Aktivitäten“ und seien auch bereit, dafür mehr finanzielle Risiken einzugehen. Allerdings sei der Zusammenhang statistisch nicht sehr ausgeprägt.
„Insgesamt deuten unsere Ergebnisse auf einen moderaten Effekt auf das Arbeitsangebot hin, der offenbar nicht durch andere produktive Aktivitäten ausgeglichen wird.“, stellen sie fest. Anders gesagt: Die Teilnehmer nutzten das zusätzliche bedingungslose Grundeinkommen, um weniger zu arbeiten und verbrachten die gewonnene Zeit überwiegend ganz einfach als Freizeit.
Messbare Auswirkungen hat das bedingungslose Grundeinkommen bei der Dauer der Arbeitslosigkeit. In den drei Jahren des Experiments waren Bezieher des Grundeinkommens im Durchschnitt 1,1 Monate oder 14 Prozent länger arbeitslos als die Mitglieder der Kontrollgruppe. Dazu passt, dass sich die Bezieher der Grundeinkommen im Mittel auf weniger Stellen bewarben.
Bedingungsloses Grundeinkommen: Bezieher fühlen sich eher krank
Geht es den Beziehern des Grundeinkommens zumindest gesundheitlich besser? Eher im Gegenteil: Die Empfänger gaben häufiger als die Kontrollgruppe an, dass sie aus gesundheitlichen Gründen nur eingeschränkt arbeiten könnten. Auch diese gesundheitlichen Einschränkungen nahem im Lauf des Experimentes zu.
Dies könnte auf eine bessere medizinische Versorgung zurückzuführen sein, schreiben die Forscher. Es sei aber auch möglich, dass Personen, die weniger arbeiten, sich eher eingeschränkt fühlen, auch um sich selbst zu vergewissern, dass sie nicht mehr arbeiten könnten. Dies könne ein Schutz sein, „um das mit der Nichterwerbstätigkeit verbundene Stigma zu mildern“.
Interessant ist auch, viele Daten zur Arbeitssuche sich zum Ende des Programms wieder an die Kontrollgruppe anglichen. „Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass das Ende der Transfers näher rückte, da wir auch beobachten, dass die Teilnehmer im letzten Jahr des Programms eine größere Anzahl von Maßnahmen zur Arbeitssuche ergreifen“, schreiben die Autoren.
Die Dauer des Experiments, die Höhe der Transfers und die umfassende Datenerhebung mache die Studie beispiellos, schreiben die Autoren. Viele Fragen blieben aber offen. So müssten künftige Arbeiten untersuchen, inwieweit die Arbeitsmarkteffekte nach dem Ende des Transferzeitraums fortbestehen. Interessant wäre es auch, die Auswirkungen auf die Kinder der Teilnehmer zu beleuchten.
Die komplette Studie mit Hinweisen zur Methodik und vielen Daten und Tabellen findet ihr hier.