„Hangover Refresh“ steht auf einem weiß-blauen Plakat in Berlin. Und: „Intravenous Hydration.“ Eine Userin postete ein Foto davon vor einigen Monaten auf X. „What? Ist das echt? Man kann sich jetzt ne Infusion kommen lassen, wenn man einen Kater hat? Also, Lieferando zum Ausnüchtern. #Berlin, really?“
Ja, really. Hangover Refresh heißt die Plattform, die Vincent Stebel und Jan Reinwein gegründet haben. Die Idee: Wer es beim Feiern übertrieben hat und sich deswegen am berüchtigten Tag danach schlecht fühlt, kann sich am Wochenende im Berliner Innenstadt-Bereich einen Arzt nach Hause bestellen, der einem eine „Anti-Hangover-Infusion“ legt.
Die Infusionen bestehen laut der Webseite von Stebel und Reinwein aus Kochsalzlösung und Vitaminen. Obendrauf gibt es noch eine Schmerztablette und Elotrans Reload. Buchen kann man drei verschiedene Varianten: „Lange Nacht“, „Drei Tage Wach“ und „Zusammen im Bett“. Die ersten beiden Varianten unterscheiden sich in der Anzahl und Zusammensetzung der Vitamine. Bei „Drei Tage Wach“ ist der Vitamin-Cocktail größer. Das sei laut Stebel bislang auch die am meist gebuchte Infusion bei Hangover Refresh. Erste Aufträge über die Plattform hatten sie im Dezember vergangenen Jahres.
Die Idee von Stebel und Reinwein basiert auf einem Geschäft aus den USA. Dort gründeten zwei Ärzte 2012 einen mobilen Anti-Kater-Service namens „Hangover Heaven“ in Las Vegas. In einem Truck konnten sich verkaterte Menschen Infusionen legen lassen. Aus dem Truck wurde mittlerweile eine „Kater-Klinik“, in der man sich Infusionen legen oder nach Hause und ins Hotelzimmer kommen lassen kann.
Während Corona erstellten Stebel und Reinwein einen Businessplan und griffen ihn nach der Pandemie auf – als man wieder feiern und Leute treffen konnte. Ob es einen bestimmten Auslöser gab, den Businessplan in die Tat umzusetzen? „Einen ausschlaggebenden Kater gab es für die Gründung nicht“, sagt Stebel. „Wir haben einfach irgendwann losgelegt.“ Einen medizinischen Hintergrund haben die beiden nicht. Für sie ist Hangover Refresh ein Side-Hustle. Stebel arbeitet hauptberuflich als User Experience Architect bei SAP, Reinwein hat Jura studiert und arbeitet als Unternehmensberater. Die Webseite sowie das Zahlungs- und Buchungssystem für Hangover Refresh habe Stebel selbst aufgebaut, sagt er. Reinwein kümmere sich um die administrativen Aufgaben.
Suche nach Personal war schwierig
Die größte Hürde sei gewesen, Personal zu finden. Zu Beginn von Hangover Refresh kamen noch Pflegekräfte zum Einsatz, um die Infusionen zu legen. Neben Ärzten sind auch sie in Deutschland dazu berechtigt. Zuvor hatten Kundinnen und Kunden einen Online-Videocall mit einem Arzt, der Fragen zu ihrem gesundheitlichen Zustand abklärte.
Aber seit Anfang Mai setzen Stebel und Reinwein nur noch auf Ärzte, die direkt zu den Kunden – aka „Patienten“ – nach Hause kommen, „um das Ganze seriöser zu machen“, sagt Stebel. „Wenn etwas passieren sollte, kann ein Arzt vor Ort viel schneller eingreifen“, so Reinwein. Was passieren kann? Eine allergische Reaktion zum Beispiel. Oder Kreislaufprobleme, wenn die Infusion zu schnell durchläuft. Um gesundheitliche Risiken zu minimieren, muss man für die Infusions-Buchung mindestens 18 und darf maximal 60 Jahre alt sein. Die Untergrenze gebe es aber vor allem aus rechtlichen Gründen.
Das Startup übernimmt keine Verantwortung
Hangover Refresh agiere lediglich als Vermittler zwischen Arzt und Kunde, sagen Stebel und Reinwein. So steht es auch in den AGB. Heißt, die Leistung, die Hangover Refresh vollbringt, ist lediglich die Vermittlung, nicht das Legen der Infusion selbst. Die Plattform gibt ebenfalls laut den AGB keine Weisung an den Arzt. Der bestimme vor Ort selbst, ob der Kunde gesundheitlich eine Infusion bekommen darf oder nicht und muss über mögliche Risiken aufklären. Ähnlich wie bei manchen Telemedizin-Startups, die eine reine Vermittlung zwischen Arzt und Patient anbieten.
Aber wie rekrutieren Stebel und Reinwein Ärzte für die Infusionen? Schließlich gibt es in Deutschland einen hohen Mangel an Ärzten. Die Antwort ist simpel: Online-Stellenanzeigen, herumfragen im persönlichen Umfeld. „Mittlerweile bekommen wir auch Initiativbewerbungen“, sagt Stebel. Um die Ärzte zu überprüfen, würden Stebel und Reinwein nach den Lebensläufen der Ärzte und ihren Approbationsurkunden fragen. „Wir haben in unserem Ärzte-Pool zum Beispiel Chirurgen oder auch Gynäkologen“, sagt Stebel. Für die Ärzte würde sich das Legen der Infusionen finanziell lohnen. Wichtig sei den beiden, dass die Ärzte hinter der Idee stehen. Die ist nämlich umstritten. Das gilt für Vitamin-Infusionen generell.
Trend und Kritik: Vitamin-Infusionen
Zum einen gibt es allgemeine Kritik an Vitamin-Infusionen und deren Wirkung, denn für die gibt es keine groß angelegten wissenschaftlichen Studien. Wer keinen Vitaminmangel hat, und das betrifft alle, die sich ausgewogen ernähren, brauche in der Regel auch keine Vitamine in die Vene. Zudem ist das Legen einer Infusion immer noch ein medizinischer Eingriff. Bei Anti-Kater-Infusionen kommt noch die Kritik hinzu, die Infusionen würden den Alkoholkonsum verharmlosen. Befürworter glauben natürlich an die Wirkung. Es ist ein Lifestyle-Trend, ein Luxus. Das wissen auch Stebel und Reinwein.
Aber: Es ist ein Trend in Deutschland. Ärzte oder auch Heilpraktiker gründen sogenannte Drip-Bars, in denen verschiedenste Infusionen gelegt werden, die „gesünder“, „leistungsfähiger“ oder eben „weniger verkatert“ machen sollen. Stichwort: Longevity. Manche von ihnen bieten auch einen Home-Service an, stellen ihr Ärzte-Team auf der Webseite vor, werben mit fancy Bildern.
Gegen diese Konkurrenz wirkt der Auftritt von Hangover Refresh zugegeben etwas sporadisch, auch wenn das Branding bewusst über den Hangover-Aspekt aufgezogen ist. Man erfährt nichts über die Ärzte, die zu einem kommen, es gibt auch keinen FAQ-Bereich, falls man Fragen hat. Aber es stehen genaue Angaben zur Zusammensetzung der Infusionen auf der Webseite von Hangover Refresh. Social-Media-Kanäle existieren, aber auch da passiert bislang nicht viel. Die Kanäle seien für Stebel und Reinwein aber für die Kundenakquise nicht entscheidend, Follower bedeuten nicht gleich Kundschaft und andersrum, sagen sie.
Wachsender Kater-Markt
Und auch auf dem Anti-Kater-Markt gibt es neben Infusionsanbietern andere Produkte. Zum Beispiel Brausetabletten in Drogeriemärkten oder Konter-Shots, die man im Internet bestellen kann. Das Schweizer Startup Kaex zum Beispiel entwickelte ein Getränk, das Menschen beim Auskatern unterstützen soll. Im Verlauf der Jahre hat sich das Unternehmen als weitere Fokus- und Zielgruppe Leistungssportler erschlossen – vom Kater- in den Gesundheitsmarkt.
Das Durchfallmittel Elotrans erlebte außerdem vor zwei Jahren eine Art neue Popularität, als es auf Tiktok als Anti-Kater-Mittel viral ging und zeitweise komplett vergriffen war. Danach launchte Elontrans mit „Reload“ ein neues Elektrolyt-Pulver, das laut Hersteller „zur Unterstützung nach dem Sport oder bei Erschöpfung“ eingesetzt werden kann.
Kundenakquise in Clubschlangen
Um erste Kunden zu gewinnen, hingen Stebel und Reinwein in Berlin Plakate auf: Kreuzberg, Neukölln, Torstraße, Rosenthaler Platz, Mitte, Charlottenburg. „Überall, wo wir dachten, dass Menschen das buchen würden, haben wir Plakate aufgehängt“, sagt Stebel. „Aber wir bekommen auch Buchungen aus Bezirken, in denen wir keine Plakate aufgehängt haben, einfach weil es sich rumspricht.“
In Clubschlangen verteilten Stebel und Reinwein zu Beginn außerdem Flyer, sagen sie. Im Berghain zum Beispiel. „Die waren aber nicht sehr freundlich zu uns“, sagt Stebel. „Die wollten, dass wir gehen.“ Auch in den Schlangen vor den Clubs Katerblau, Watergate und Tresor hätten sie Flyer verteilt. „Die Leute haben sowieso nichts zu tun in der Schlange. Manche haben Lust, sich so was dann anzuhören, manche aber auch nicht“, sagt Stebel. „Man muss ihnen aber Kontext geben, den Service muss man erklären.“
Zielgruppe von Hangover Refresh ist, wer sich den Luxus gönnen und leisten will. Eine Infusion kostet immerhin zwischen 99 Euro und 199 Euro – je nach Paket. Stebel und Reinwein denken da an Menschen, die feiern waren, verkatert sind, am nächsten Tag abreisen müssen oder einen wichtigen Termin haben. Stebel meint, dass manche ihrer Kunden auch gar keinen Kater hätten, sondern sich die Infusion aus Detox-Gründen legen lassen würden, weil der Home-Service komfortabler sei, als in eine Praxis zu fahren. Nun planen die Gründer, ihr Angebot weiter auszubauen – zum Beispiel in Form von Sportinfusionen.